Karl Barths 33 Basler Jahre

Karl Barth gilt als der bedeutendste protestantische Theologe des 20. Jahrhunderts. Sein unvollendetes Hauptwerk, die zwölfbändige «Kirchliche Dogmatik», wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Daneben publizierte er zu seinen Lebzeiten an die 600 Schriften. Vieles davon – und ein grosser Teil seines Nachlasses – entstand in seiner Heimatstadt Basel, wohin ihn die Ereignisse vor dem zweiten Weltkrieg gegen seinen Wunsch geführt hatten.

Am 20. Dezember 1934 wurde der gebürtige Basler Karl Barth gerichtlich aus seinem Dienst als Ordinarius für Systematische Theologie an der Bonner Universität entlassen. Grund dafür war die Verweigerung des Beamteneides auf Adolf Hitler und eine offen ablehnende Haltung gegenüber dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Staatsregimes. Das darauf angestrengte Berufungsverfahren wurde am 14. Juni 1935 negativ entschieden und Barth aufgrund von § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums «zur Vereinfachung der Verwaltung» in den Ruhestand versetzt. 

Bonn, Basel und ein arbeitsloser Sonntag dazwischen
Zwei Tage später erhielt er einen Ruf auf einen ausserplanmässig eingerichteten Lehrstuhl an der Universität seiner Heimatstadt: «Es war [...] so, dass ich an einem Samstag in Deutschland abgesetzt wurde, und schon am Montag hat mich der Regierungsrat von Basel zum ordentlichen Professor ernannt, so dass ich also nur über den Sonntag arbeitslos war.» Schon am 8. Juli bezog er mit seiner Familie eine Wohnung am St. Alban-Ring 186, die nicht weit von seinem Geburtshaus und dem heutigen Karl Barth-Platz liegt. 

«wo mich etwas schmalere Dinge umgaben als dort ...»
Im heimatlichen Arbeitsumfeld wurde Barth nicht auf Anhieb heimisch. Hier fand er insgesamt «etwas schmalere Dinge» vor, als er es aus Bonn gewohnt war. Besonders den Umgang mit seinen Schweizer Schülern empfand er als zurückhaltender, verschlossener, kühler. In einem Brief an seine Söhne klagte er nach Antritt der Professur über seine Studierenden, sie seien «mit einigen wenigen Ausnahmen ein schwer in Bewegung zu bringendes, mit etwas primitiven Problemen beschäftigtes Volk».

Dennoch liess sich Barth in Basel bis zu seinem Tod 1968 nieder und übernahm bis 1962 den gesetzlichen Lehrstuhl für Systematische Theologie. Das Verhältnis zu seinen Studierenden besserte, andernfalls hätte er seine Lehrtätigkeit kaum bis ins 76. Lebensjahr aufrecht erhalten. 

Die Arbeit an der «Kirchlichen Dogmatik», die er von 1932 bis 1968 betrieben hatte, fiel wesentlich in seine Basler Zeit. Das in weiten Kreisen im In- und Ausland wahrgenommene Wirken Barths brachte der Theologischen Fakultät während drei Jahrzehnten grosse wissenschaftliche Aufmerksamkeit und einen studentischen Zustrom aus der ganzen Welt. Der rege deutsche Andrang liess allerdings nach, als Anfang 1939 ein amtlicher Beschluss erging, dass die bei Karl Barth studierten Semester in Deutschland nicht angerechnet würden. Für seine Schüler hielt Barth Sozietäten bei ihm zu Hause ab, zunächst am St. Alban-Ring, später an der Pilgerstrasse 25 und an der Bruderholzallee 26, wo seit 1971 das Karl Barth-Archiv seinen Sitz hat.

Schmal war Barths Auftritt in Basel nicht. Neben der Schrift pflegte er nicht weniger das gesprochene Wort und kam bis zu seinem Tod einer regen Vortragstätigkeit nach. Noch in den letzten Stunden seines Lebens arbeitete er an einem Referat zum Thema «Aufbrechen – umkehren – bekennen», das er vor einem gemischten katholisch-reformierten Publikum hätte halten sollen. Sein Wirken war bei weitem nicht nur akademisch: Immer wieder predigte er vor der Basler Bevölkerung, nicht zuletzt regelmässig und bis ins hohe Alter für die Häftlinge der Strafanstalt. Politisch trat er in der Zeit des Nationalsozialismus überall dort in Erscheinung, wo er helvetische Anpassungstendenzen witterte. 1940 gehörte er zu den Initianten der «Aktion nationaler Widerstand», die sich zum Ziel setzte, dem Defaitismus von Behörden und Bevölkerung entgegenzutreten. 

Im April desselben Jahres meldete er sich, inzwischen 54, freiwillig zum bewaffneten Hilfsdienst, um an den Basler Brücken Wache zu stehen und bis Kriegsende «je und je schlecht und recht ein paar Wochen», insgesamt 104 Diensttage lang, Soldat zu sein – wie er selber einräumte «kein allzu tüchtiger und gefährlicher Kämpfer wahrscheinlich, aber immerhin bewaffneter und exerzierter Soldat».

Akademische Nachfolge und theologisches Erbe
Die politisch-theologischen Stellungnahmen aus der Kriegszeit erschienen 1945 unter dem Titel «Eine Schweizer Stimme 1938-45». Seine Stimme erhob Barth nach 1945 auch weiterhin: Unmittelbar nach Kriegsende gegen den nun aufflammenden Deutschenhass und später im Kalten Krieg mit einer Nüchternheit, die sich jeder Eingliederung in die starren Blöcke verwehrte. Sowohl in der Schweiz wie im Deutschland der 50er und 60er Jahre stiess Barth mit seinen politischen Haltungen wiederholt auf Ablehnung. 

Dies zeigte sich besonders deutlich, als 1960 ein geeigneter Nachfolger für Barths Professur gefunden werden sollte. Nicht nur in Basel, sondern in der ganzen Schweiz trat man Barths Wunsch entgegen, seinen ehemaligen Schüler und Basler Doktoranden Helmut Gollwitzer zu berufen. Der spätere Freund Rudi Dutschkes und Seelsorger Ulrike Meinhofs stand in der Schweiz unter Ideologieverdacht – und ebenso Karl Barth selbst, dessen frühere Nähe zu religiösen Sozialisten wie Leonhard Ragaz und Hermann Kutter sich dem eidgenössischen Bewusstsein eingeprägt hatte.

Die Ablehnung Gollwitzers fasste Barth denn auch nicht zuletzt als eine Ablehnung seiner selbst auf: Es war «deutlich genug [...], dass man mir nur ja keinen Nachfolger geben wollte, an dem ich auch hätte Freude haben können». Seinem Missmut machte er in verschiedenen Briefen Luft, unter anderem auch in einem an Gollwitzer selbst: «Was für Narren die Basler, die Schweizer überhaupt, dass sie sich die nicht wiederkehrende Gelegenheit, einen solchen Geist und Kopf und ein solches Herz in ihre Mitte zu bekommen, entgehen liessen – und in so schmählicher Unsachlichkeit entgehen liessen!»

Was von Barth in Erinnerung blieb, war freilich nicht in erster Linie sein politisch-theologisches Wirken, sondern vielmehr seine wissenschaftlich-theologische Leistung. Hatte er als Pfarrer im aargauischen Safenwil in seinem ersten durchschlagenden Werk, dem «Römerbrief» (erste Fassung 1919; zweite, völlig neue Fassung 1922), das ungebrochene Anders-Sein und die überlegene Fremdheit Gottes als Ausgangspunkt seiner Reflexion gewählt, so wurde ihm in der «Kirchlichen Dogmatik» die Hinwendung Gottes zum Menschen in Jesus Christus der zentrale Gegenstand einer jeden christlichen Theologie. Diese Position sollte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts grosse Wirkung entfalten und nicht allein in Basel manche theologische Anknüpfung erfahren.