Aufbruch und Entfaltung: Die Allianz zwischen Universität und Internationalem Arbeitsamt in Basel

Eine erste Blütezeit erlebten die Basler Wirtschaftswissenschaften erst ab 1899. Die Aufbruchstimmung gründete nicht zuletzt auf einer ausseruniversitären Einrichtung, dem Internationalen Arbeitsamt, das seit 1897 geplant, 1901 in Basel gegründet wurde und dort bis 1919 blieb. Zwei wichtige Berufungen waren eng mit dem Internationalen Arbeitsamt verbunden.

1899 wurde der österreichische Nationalökonom Stephan Bauer (1865-1934) auf den Basler Lehrstuhl berufen. Bauer hatte sich als Vertreter der Jüngeren Historischen Schule und als Begründer und Mitherausgeber der «Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte» (die spätere «Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte») bereits einen Namen gemacht und trat in Basel eine doppelte Karriere an. An der Universität lehrte er als ausserordentlicher Professor; zugleich übernahm er das Generalsekretariat der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeitsschutz und 1901 auch die Leitung des Internationalen Arbeitsamtes, die er bis zur Auflösung des Amtes 1919 versah.

Parallel zur Berufung von Bauer verfolgten verschiedene ausserakademische Kreise Bestrebungen, einen zweiten wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstuhl einzurichten. Vor allem die Basler Banken und Handelsgesellschaften forderten eine Verstärkung der handels- und finanzwissenschaftlichen Ausbildung. Anfangs stand sogar die Gründung einer eigenen Basler Handelshochschule zur Diskussion. Als das Vorhaben jedoch an einer Volksabstimmung 1903 aus finanzpolitischen Gründen scheiterte, konzentrierten sich die nachfolgenden Debatten darauf, die handelswissenschaftliche Lehre an der Universität durch ein zweites Ordinariat zu stärken. Mit finanzieller Unterstützung der Stiftung des Schweizerischen Bankvereins kam die Professur 1909 schliesslich zustande. Sie wurde besetzt mit Julius Landmann (1877-1931), für den sich vor allem die bankennahe Stiftung einsetzte. Landmann stammte aus einem jüdischen Bankiershaus in Galizien, studierte an verschiedenen deutschen Universitäten sowie in Basel und Bern und arbeitete nach seiner Promotion in Bern am Basler Internationalen Arbeitsamt unter Stephan Bauer. Mit einer umfangreichen Studie zur Geschichte der schweizerischen Arbeiterschutzgesetzgebung machte er sich 1904 endgültig einer breiteren Fachöffentlichkeit bekannt. In den folgenden Jahren wirkte Landmann auch bei der Gründung der Schweizerischen Nationalbank mit und arbeitete dort seit 1907 in leitender Stellung. Ohne Habilitation, aber unterstützt von Stephan Bauer schaffte er 1909 den Sprung auf die neugeschaffene Professur.

Als Professor für Nationalökonomie und Statistik mit besonderer Berücksichtigung des Handels baute Landmann seine vielfältigen Aktivitäten weiter aus. Als Hochschuldozent war er einer der ersten Nationalökonomen, die den Draht zu den Studierenden fanden. Seine Vorlesungen waren nicht nur im akademischen Publikum, sondern auch unter den ausseruniversitären Hörern beliebt und gut besucht. Auch die vielen betreuten Dissertationen zeugen vom regen Zuspruch unter den Studierenden. Daneben baute Landmann seine ausseruniversitären Engagements weiter aus. Er übernahm die Redaktion der führenden ökonomischen Fachzeitschrift der Schweiz, der «Zeitschrift für schweizerische Statistik und Volkswirtschaft». Ausserdem verfasste er Gutachten für eine Reihe politischer Verantwortlicher, unter anderem für das eidgenössische Wirtschaftsdepartement und das Finanzdepartement, für kantonale Behörden und für die Liechtensteiner Regierung.

Gründung des Schweizerischen Wirtschaftsarchivs
Schliesslich war Landmann mitverantwortlich für die Gründung des Schweizerischen Wirtschaftsarchivs. Als Mitarbeiter der Schweizerischen Nationalbank hatte Landmann bereits ein Firmenarchiv aufgebaut. Entsprechend setzte er sich nach seinem Wechsel nach Basel tatkräftig dafür ein, dass die Archivalien- und Druckschriftensammlung, die das Staatsarchivs Basel-Stadt seit einigen Jahren zu Wirtschaftsthemen aufgebaut hatte, systematisiert und in eine selbständige Institution umgewandelt wurde. Aus dieser Initiative ging 1910 das Schweizerische Wirtschaftsarchiv hervor, das im ersten Jahrzehnt seines Bestehens organisatorisch noch dem Staatsarchiv angegliedert war, ab 1921 dann verselbständigt und mit einer eigenen Leitung (Fritz Mangold) ausgestattet wurde. Das Wirtschaftsarchiv verstand sich als Dokumentationsstelle zu Wirtschafts- und Unternehmensfragen und richtete sich sowohl an die akademische Forschung wie an eine breitere Öffentlichkeit.

Profilierung der Basler Wirtschaftswissenschaften: Symbiose zwischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Diese Konstellation mit Stephan Bauer und Julius Landmann führte dazu, dass sich die Universität Basel zwischen 1900 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im deutschsprachigen Raum erfolgreich als wirtschaftswissenschaftliches Zentrum für Fragen der Sozialreform und des Arbeitsschutzes profilierte. Das breite inhaltliche Profil beinhaltete unter der Sammelbezeichnung der Nationalökonomie immer auch sozialwissenschaftliche oder soziologische Themen. Die Wirtschaftswissenschaften waren in Basel wie auch in anderen deutschsprachigen Universitäten bis zum Ersten Weltkrieg konstitutiv eng mit den Sozialwissenschaften verknüpft. Anders als an anderen Universitäten blieb in Basel diese Symbiose zwischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften auch im 20. Jahrhundert bis mindestens in die 1960er Jahre wirkungsvoll. Dieser Situation ist es zu verdanken, dass wie einleitend erwähnt die Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Fächer, insbesondere der Soziologie, über weite Teile von den nationalökonomischen Professuren angetrieben wurde. Die Nationalökonomie, die sich selber wiederum als Teil eines sozialwissenschaftlichen Kanons verstand, bildete gleichsam den Boden, auf dem sich in Basel die Soziologie als eigenes Fach konstituierte.

Mit diesem Profil unterschied sich Basel im frühen 20. Jahrhundert klar von den anderen schweizerischen Universitäten, wo entweder wie in Zürich und Bern eine stärker ökonomisch ausgerichtete Tradition der Historischen Schule, ohne Interesse an der jungen Soziologie, vorherrschte oder wo wie in Lausanne unter Léon Walras und später Vilfredo Pareto schon früh quantifizierende und mathematisierende Ansätze der Wirtschaftwissenschaften verfolgt wurden.

Dieses spezifisch Basler Profil der Wirtschaftswissenschaften manifestierte sich in Ansätzen bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Weil Stephan Bauer ab 1901 als Direktor des Internationalen Arbeitsamtes seine Professur nur noch im Nebenamt versah, konnte das Ordinariat wieder anderweitig besetzt werden. Nach einem kürzeren Intermezzo wurde 1913 der deutsche Nationalökonom Robert Michels (1876-1936) berufen. Michels war ein Schüler Max Webers und Werner Sombarts und hatte verschiedene innovative soziologische und politikwissenschaftliche Arbeiten verfasst. Entsprechend war seine Professur fachübergreifend angelegt; sie lautete zwar noch auf «Nationalökonomie und Statistik», wurde aber ad personam mit einem Lehrauftrag für Soziologie verknüpft. Michels kam über Umwege nach Basel. Als bekennender Sozialist waren seine akademischen Karriereperspektiven im Deutschen Kaiserreich beschränkt. Aus politischen Gründen verwehrten ihm verschiedene deutsche Universitäten die geplante Habilitation, trotz Unterstützung Max Webers. Michels habilitierte sich schliesslich 1907 in Turin und nahm in der Folge neben seiner deutschen auch die italienische Staatsbürgerschaft an. In Basel las Michels regelmässig zu soziologischen Themen, unter anderem zur soziologischen Theoriegeschichte, zur Parteiensoziologie oder zur «Frauenfrage».