Krise und Neuanfang: Genese des «Basler Modells» der Wirtschaftswissenschaften (1918-1945)
Nach der Aufbruchstimmung am Ende des Ersten Weltkriegs brachten die 1920er Jahre der Basler Nationalökonomie eine personelle Krise.
Im Rahmen der Autonomisierung des Schweizerischen Wirtschaftsarchivs schuf die Universität zunächst eine neue, den Wirtschaftswissenschaften angegliederte Professur für Statistik, die 1921 mit Fritz Mangold (1871-1944), der zugleich die Leitung des Wirtschaftsarchivs übernahm, besetzt wurde. Mangold passte gut zum breiten Profil der Basler Nationalökonomie. Als ehemaliger Basler Regierungsrat war er ein Spezialist für sozialpolitische Fragen und verstand die Statistik nicht im engeren Sinne als Methode, sondern in der Tradition der Staatswissenschaften als eine breite Form der Gesellschaftsanalyse, in dessen Rahmen demographische, wirtschaftspolitische, soziologische und sozialstatistische (bzw. im damaligen Jargon «moralstatistische») Themen zu behandeln waren.
Im Verlauf der 1920er Jahre gerieten die Basler Wirtschaftswissenschaften jedoch in eine vorübergehende Krise. Die Schwierigkeiten manifestierten sich gleich auf beiden Lehrstühlen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Weil Julius Landmann nicht habilitiert war und nicht zuletzt auf Druck von Banken- und Industriekreisen berufen wurde, hatte er nach seinem Stellenantritt 1909 wiederholt mit innerfakultären Anfeindungen, die teilweise antisemitisch und fremdenfeindlich motiviert waren, zu kämpfen. Diese unbefriedigende Situation verschärfte sich noch, als Landmann nach Ende des Ersten Weltkriegs auf eidgenössischer Ebene als Fachexperte die gesetzliche Grundlage für die Einführung einer Stempelsteuer mit ausarbeitete. Obwohl die neue Steuer, die vor allem Banken- und Versicherungskreise betroffen hätte, an der parlamentarischen Hürde scheiterte, verlor Landmann durch dieses Engagement auch seine Netzwerke im Bankenmilieu. Zunehmend isoliert und verbittert bemühte er sich nach 1920 verschiedentlich um eine neue Stellung an einer deutschen Universität. Nach verschiedenen gescheiterten Anläufen klappte es schliesslich 1927, als ihn ein Ruf der Universität Kiel ans renommierte Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft ereilte.
Gleich im folgenden Jahr verloren die Basler Wirtschaftswissenschaften mit Robert Michels auch ihre zweite tragende Figur. Anders als Landmann hatte sich Michels, dessen sozialistisches Engagement ihm wie erwähnt die Karriere an einer deutschen Universität kostete, nie richtig in Basel eingelebt. Das Umfeld in Basel und in der Deutschschweiz schien ihm zu deutschfreundlich. Sein soziales Netzwerk in der Schweiz war bescheiden; freundschaftliche Kontakte pflegte er nur gerade zu Vilfredo Pareto, der in Lausanne lehrte. Dagegen baute Michels während seiner Basler Zeit seine Beziehungen nach Italien aus und wurde ein entschiedener Anhänger des Syndikalismus und des Korporatismus, seit 1920 auch des italienischen Faschismus. Noch als Basler Professor nahm er 1926, persönlich gefördert von Mussolini, einen Lehrauftrag an der Universität Rom an. Zwei Jahre später folgte der Ruf an die Universität Perugia, jener faschistischen Eliteneinrichtung, an der nur eingeschriebene Mitglieder der faschistischen Bewegung sich immatrikulieren konnten. Damit kehrte Michels der Universität Basel endgültig den Rücken.
Als Nachfolger von Michels wurde 1928 Hans Ritschl (1897-1993) berufen. Ritschl stand ebenfalls in der Tradition der Historischen Schule und zeichnete sich wie Michels durch einen breiten Fundus soziologischer Kenntnisse aus. Die Soziologie wurde auch institutionell aufgewertet: der Lehrstuhl lautete nun auf «Nationalökonomie und Soziologie» (statt «Nationalökonomie und Statistik»). Auf volkswirtschaftlichem Gebiete arbeitete Ritschl zu wirtschaftspolitischen Fragen. Er stand sozialistischen Ideen nahe, distanzierte sich damit von rein marktwirtschaftlichen Ansätzen, blieb jedoch auch in kritischer Distanz zum planwirtschaftlichen Modell der Sowjetunion. Ritschl befürwortete vielmehr eine weitgehende staatliche Kontrolle des Wirtschaftslebens (das Modell einer korporatistisch verfassten «gelenkten Wirtschaft») und sprach sich daneben für einen starken Ausbau des gemeinwirtschaftlichen Sektors (u.a. Montanindustrie, Elektrizitätswirtschaft, Verkehrswirtschaft) aus. Mit diesen Vorstellungen gehörte er zu den frühen Vertretern einer keynesianischen Wirtschaftspolitik. Ausserdem las Ritschl regelmässig zur Politik- und Finanzsoziologie. Seine Basler Zeit dauerte fast eineinhalb Jahrzehnte. Obwohl er sich in der Schweiz parteipolitisch nicht exponierte, scheint er nicht ohne Sympathien für den Nationalsozialismus gewesen zu sein. Zwar war er kein Parteimitglied, doch liess er sich 1942, mitten im Krieg, an die von den deutschen Besatzungsmächten gegründete, stramm nationalsozialistische «Reichsuniversität Strassburg» berufen. In Basel wurde die freigewordene Stelle mit Valentin Fritz Wagner (1895-1959), einem Schüler Landmanns, besetzt, der sich 1937 in Basel habilitiert hatte und unter anderem als Redaktor der Schweizerischen Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik wirkte. Wagners akademische Tätigkeit war allerdings von wiederholten schweren Erkrankungen beeinträchtigt, die ihn 1957 zum vorzeitigen Rücktritt zwangen.
Der Abgang von Landmann führte 1927 zur Berufung von Edgar Salin (1892-1974) nach Basel. Für die nächsten dreieinhalb Jahrzehnte bis zu seiner Emeritierung 1962 war Salin die dominierende Figur der Basler Wirtschaftswissenschaften.