Universitäten sind Menschen: Internationale Partnerschaft der Historiker aus den Universitäten Basel und Tscheljabinsk

Universitäten sind vor allem Menschen. Aus soziologischer Sicht sind Universitäten, wie andere Institutionen, Ensembles von sozialen Rollen und Positionen, die menschliches Wahrnehmen, Denken und Verhalten beeinflussen, strukturieren und stabilisieren. Aber wie die Rollen verstanden, beherrscht und gespielt werden, inwieweit Improvisationen dabei möglich sind, hängt von den Menschen ab, die das Funktionieren der Institutionen im Endeffekt bestimmen.

Meine banale These mag heute, auf dem Hintergrund der internationalen Hochschulreform, hoffnungslos altmodisch und überholt klingen. Es ist paradox, aber die Reform der Universitäten, so wie sie heute europaweit verwirklicht wird, fördert einen dermassen massiven strukturellen Unifizierungsprozess der Hochschulausbildung, dass er internationale Partnerschaften der Universitäten fast unmöglich macht. Ich frage mich: Kann eine institutionalisierte Partnerschaft, pragmatisch betrachtet, Zukunft haben, wenn sie locker organisiert ist, keine Unterschiede zwischen Bachelor und Master berücksichtigt und für die nüchtern kalkulierenden Studierenden kaum von Gewinn ist, weil sie keine Kreditpunkte bringt? Die Kooperation zwischen den Historikern der Universitäten Basel und Tscheljabinsk ist auf diese Weise angelegt. Deshalb versuche ich an diesem Beispiel die Bedeutung des «menschlichen Faktors» für die Gestaltung des Universitätslebens zu zeigen.

Als Mitgestalter, Teilnehmer und einer der Koordinatoren dieses internationalen Projekts darf ich es mir erlauben, diesen Text aufgrund der eigenen Erinnerungen zu produzieren, wobei ich mein Gedächtnis ab und zu aufgrund der während der Kooperation entstandenen Dokumente überprüfen werde. Und weil das Projekt zum Glück nicht abgeschlossen ist und nicht nur der Vergangenheit angehört, werde ich meine Erinnerungen aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachten: aus der Feldperspektive eines unmittelbaren Teilnehmers und aus der Beobachterperspektive, aus der Vogelschau.

Zuerst soll die Vorgeschichte der Kooperation und der lange Weg zur Institutionalisierung beleuchtet werden, dann werden einzelne Aspekte der Zusammenarbeit, vor allem das virtuelle Seminar und die Gastaufenthalte näher erläutert. 

 

Die Vorstellung davon, dass die moderne «Gesellschaft» im Unterschied zur vormodernen «Gemeinschaft» sich so gut wie ausschliesslich auf die unpersönlichen, anonymen Beziehungen stützt, wie es der deutsche Soziologe Ferdinand Tönnies einst glaubte, gehört ins Archiv. Persönliche Kommunikation nimmt offensichtlich wieder an Bedeutung zu und mildert die unangenehme Seite der Globalisierung. Darauf beruht meine Überzeugung, dass das Gesicht einer Universität nicht die Strukturen bestimmen, sondern die Menschen. In der Tat, was sonst kann das gegenseitige Interesse der Historiker in Basel und Tscheljabinsk erklären, die an den im 15. und im 20. Jahrhundert entstandenen Universitäten mit den extrem unterschiedlichen Geschichten tätig sind?

Diese These gilt nicht nur für die Studierenden, Dozierenden und Forschenden, die heutzutage die Universitäten «besiedeln», sondern auch für ihre Vorläufer. Wenn man mich z.B. fragt, welche Bedeutung die Universität Basel für die russischen Universitäten hat, finde ich keine allgemeine Antwort. Auf der Ebene konkreter praktischer Erfahrungen und Tätigkeiten brauche ich hingegen nicht lange zu überlegen. In meinen Lehrveranstaltungen über Theorien der Geschichte oder über Kulturgeschichte ist Jacob Burckhardt, der Basler Historiker aus dem 19. Jahrhundert, eine wichtige Figur. Nicht nur für meine StudentInnen bleibt Heiko Haumann eine wichtige Adresse beim Studium der osteuropäischen Juden, auch wenn er 2010 die Universität Basel verlassen haben wird. Ich hoffe, dass jemandem in Basel, der irgendwann auf die Idee kommt, den Alltag in der Russischen Revolution genauer kennenzulernen, auch mein Buch empfohlen werden wird. Und es werden – davon bin ich überzeugt – in der Schweiz und in Russland, vielleicht auch dank unserer Partnerschaft, neue innovativ arbeitende HistorikerInnen kommen. Deshalb schaue ich mit Optimismus auf die künftige Zusammenarbeit zwischen Basel und Tscheljabinsk (Igor Narskij).