Von der Volkskunde zur Kulturwissenschaft

Die Anfänge der Volkskunde in Basel waren gepägt durch den engen Bezug  des Faches zur Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde. Als kleines Fach verfügte das Seminar immer nur über eine einzige vollamtliche Dozentenstelle und wurde entsprechend stark durch die jeweiligen Stelleninhaber, deren Fachverständnis und Interesse geprägt.

Mit der Begründung, Dialekt und die ganze Kultur eines Volkes seien Dinge, über die eine Universität Auskunft geben müsse, wandten sich der Germanist John Meier und der Sprachforscher Jacob Wackernagel im Frühling 1900 an die Basler Regierung und stellten den Antrag, eine neue Professur für die Randgebiete der Germanistik (Phonetik, schweizerische Mundarten, Volkskunde) zu schaffen, was auch für die Lehrerausbildung nützlich sei, und Eduard Hoffmann-Krayer, den in Zürich tätigen Basler, hierher zu berufen.

Ein solcher Vorschlag lag im Trend der Zeit. Im Zug einer nationalen Selbstbesinnung und angesichts starker Modernisierungsschübe wuchs das Interesse an der eigenen Sprache (manifest in den nationalen Wörterbüchern) und ebenso an den materiellen Zeugnissen schweizerischer Kultur (1897 Eröffnung des Schweizerischen Landesmuseums). Zudem entstanden überall im deutschen Sprachgebiet volkskundliche Vereinigungen und Zeitschriften; Hoffmann-Krayer hielt da mit, als er, zusammen mit einigen Freunden, 1897 die Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde und eine zugehörige wissenschaftliche Zeitschrift, das Schweizerische Archiv für Volkskunde ins Leben rief.

Eduard Hoffmann-Krayer. Der erste Schweizer auf einem germanistischen Lehrstuhl
Der Antrag hatte Erfolg: Basel holte Hoffmann als Honorarprofessor mit einem Lehrauftrag für Germanistik und Volkskunde zurück; 1912, nach dem Wegzug Meiers, wurde er dessen Nachfolger im Ordinariat – er war der erste Schweizer auf einem germanistischen Lehrstuhl! Seine Tätigkeit begann er jedoch mit einer Antrittsvorlesung, die mit Philologie nichts zu tun hatte, die aber für Jahrzehnte zu einem Schlüsseltext der jungen Disziplin Volkskunde und entsprechend heftig diskutiert wurde: Die Volkskunde als Wissenschaft (gedruckt 1902).

Mit der berühmt gewordenen Formel vom vulgus in populo forderte er nicht eine Kunde vom Ursprünglichen der Nation (was Anlass zur Auseinandersetzung bot), sondern die Erforschung der überindividuellen kulturellen Überlieferung innerhalb eines Volkes. Das war weniger soziologisch als vielmehr historisch und psychologisch gedacht, als der Teil der Geschichte, der dauerhafteren Gesetzen folgt und wo es die Individuen sind, die Neues schaffen und einbringen, die breite Bevölkerung dies aber sich aneignen, anpassen und bewahren oder aber ablehnen kann, so dass es kollektiver Besitz wird oder auch nicht. Das Resultat aber war, dass von Basel aus eine Volkskunde betrieben wurde, die der romantischen Auffassung von der schöpferischen Volksseele den wissenschaftlichen Todesstoss versetzen sollte: „Das Volk produziert nicht, es reproduziert."

Neben Hoffmann-Krayer engagierten sich insbesondere seine Schüler Hanny Bächtold-Stäubli und Paul Geiger für die Volkskunde in Basel. Weitere zentrale Figuren waren Karl Meuli und Hans Georg Wackernagel.

Das «volkskundliche Kränzchen» 
Volkskunde als akademische Disziplin und ihr Lehrangebot setzten sich also in jenen Jahrzehnten aus sehr verschiedenen, nicht koordinierten Elementen zusammen, die keine Dichte und auch kein erkennbares Ganzes bildeten; ohne Zweifel bot sich dabei jedoch eine Fülle von Anregungen und Ergänzungen zu anderen Fächern. Sehr lose zusammengehalten wurden Interessenten und Interessen durch das sogenannte Volkskundliche Kränzchen , ein Privatissimum, vielleicht als Form (mit anschliessendem obligatorischem Wirtshausbesuch) schon von Hoffmann-Krayer übernommen.

An ihm nahmen Meuli und Wackernagel, zeitweise Geiger und Hoffmanns germanistischer Nachfolger Friedrich Ranke, später auch die neuen Dozenten teil, zusammen mit Studierenden meist höherer Semester und verschiedener Fächer (darunter oftmals Juristen und Historiker, übrigens fast ausschliesslich Männer). Sie rekrutierten sich zum Teil aus ehemaligen Schülern Meulis, denn die Hälfte von dessen Zeit, Kraft und Arbeitslust galt bis zur Pensionierung dem Griechisch-Unterricht am Humanistischen Gymnasium . Das Kränzli war in vielen Jahren die einzige volkskundliche Veranstaltung, die Übungscharakter hatte, allerdings durch die wechselnde Zusammensetzung und die Heterogenität der in Referaten behandelten Themen von einer kontinuierlichen Ausbildung doch weit entfernt war.

Volkskundliche Themen in anderen Fächern
Volkskundliche Themen fanden im übrigen an der Universität auch in anderen Fächern hie und da Berücksichtigung, so in der Anglistik als Teil einer „Landeskunde" , angeboten durch die jeweiligen Lektoren, oder in der Slawistik durch Elsa Mahler, die durch ihre ethnographischen Forschungen über eigenes Material und entsprechendes Interesse und Wissen verfügte.

Meuli spricht 1960 zusammenfassend von einer ungestörten, wenn auch nicht grossartigen Entwicklung der Volkskunde an der Universität Basel . Ist von Entwicklung im Sinn eines planvollen und kohärenten Ausbaus bis dahin (von heute aus) auch in Tat und Wahrheit nichts zu sehen, so bedeutet ungestört mehr: die Basler Volkskunde blieb unbeeinflusst von der fachlichen Ideologisierung, Korrumpierung und politischen Indienstnahme in Deutschland und teilweise auch in Österreich, ungeachtet persönlicher Beziehungen und ähnlicher, aber auf verschiedene Weise verfolgter Idee.

Volkskunde nach 1945
Als Geiger 1952 starb, wurde Richard Weiss von der Universität Zürich, erster Professor für Volkskunde in der Schweiz, mit der Vertretung in Basel betraut. Er las von 1952 bis 1956 hier. Er vertrat eine neue Generation und einen neuen Typ, der Gegenwart und ihren Problemen zugewandt, die er scharf beobachtete und deutete. Weiss forschte ganz selbstverständlich empirisch, er gewann seine Erkenntnisse primär im systematischen Zuschauen, Zuhören, Fragen, d.h. im zwischenmenschlichen Austausch – als Lernender! – , theoretisch geleitet durch Funktionsanalysen. Er hatte diesen Ansatz übernommen vom Soziologen Kurz Stavenhagen, was auch heisst, dass er die Volkskunde von der Philologie wegzog und sie der gesellschaftlichen Gegenwart öffnete.

Auf Drängen Karl Meulis habilitierte sich in Basel 1956 Hans Trümpy, und zwar (als ursprünglicher Altphilologe) mit einem ebenso innovativen wie gründlichen Buch über Schweizerdeutsche Sprache und Literatur, das als volkskundliche Leistung anerkannt wurde und zu der entsprechenden venia führte. Das beendete die Vertretung durch Richard Weiss, bedeutete aber bloss eine gewisse Sicherung der äusseren Kontinuität durch die obligaten zwei Wochenstunden des Privatdozenten, keinen Ausbau des Fachs, zumal Trümpy als Gymnasiallehrer weiterhin in seiner Heimat Glarus tätig blieb.

Er bot regelmässig Themen der sogenannten Volksliteratur an und führte Ansätze von Wackernagel weiter mit Vorlesungen über das Eidgenössische Festwesen des 19. Jahrhunderts, widmete sich aber auch in regelmässigem Turnus „klassischen" Fachthemen wie den Bräuchen des Jahres- und Lebenslaufs. Neues erschien unter den Stichwörtern Alltag, Anstand, Verein, Schulbuch. Richard Weiss, der sich mit Trümpy gut verstand, hörte sich die ersten Vorlesungen an, um dem Vorschlag der Fakultät auf Erteilung eines Lehrauftrags Unterstützung angedeihen zu lassen. Dieser wurde schon 1957 erteilt, 1959 auf 4 Wochenstunden aufgestockt und damit Trümpy, wie er selbst sagte, weg von Glarus nach Basel „gelockt".

Die Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls
Am 10.11.1964 stellte die Philosophisch-Historische Fakultät dem Rektor zu Handen der oberen Behörden einen wichtigen Antrag: „Die Fakultät hält den Zeitpunkt für gekommen, einen vollausgebauten Lehrstuhl für Volkskunde zu errichten, da diese Aufgabe in der Gesamtplanung des schweizerischen Hochschulwesens unserer Universität zufällt, da die sachlichen und die personellen Voraussetzungen für eine grosszügige Entwicklung des Faches in Basel gegeben sind, und da eine solche Massnahme unseren eigenen Traditionen auf das beste entspricht." Da offenbar mit einer Finanzierung des neuen Ordinariats durch den Kanton nicht zu rechnen war, hatte der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der Forschung seine Hilfe zugesagt. Hans Trümpy wurde auf die neu geschaffene Stelle berufen.

Schon bald nach Trümpys Berufung schlugen im benachbarten Deutschland die methodischen Wellen hoch. Im Zuge der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Fachs wurde um ein neues Fachverständnis gerungen. In Basel gingen die Wellen in der Volkskunde um1970 nicht hoch. Trümpy, gut über die Auseinandersetzungen informiert, mehrfach sich dazu äussernd und der kritischen Aufarbeitung der fachlichen Vergangenheit rundum zustimmend, hielt doch betont an einem Wissenschaftsverständnis fest, das Forschung von politischer und sozialer Praxis strikt trennt, er lehnte es ab, sich die Themen ausschliesslich vom Tagesgeschehen vorgeben zu lassen, er beharrte darauf, dass es sich bei der Volkskunde um eine historische Disziplin innerhalb der Geisteswissenschaften handelt, und hielt nichts von einer Umgestaltung zur Sozialwissenschaft. Damit in eine konservative Ecke gestellt zu werden, machte ihm wohl nichts aus.

So kam es in Basel nicht zu ‹Vätermord›, Bruch und radikaler Neuorientierung, sondern zu einer langfristigen Weiterentwicklung, zur Vertiefung mancher Problembereiche und zur Öffnung für neue Fragen wie (nationale) Identität und Folklorismus, und Alltag wurde zur heuristischen Kategorie.

Vom Lehrstuhl zur ausserordentlichen Professur
Bei Trümpys Emeritierung 1987 war es unbestritten, dass das Fach (als ein selbständiges) erhalten bleiben sollte. Allerdings entfiel nun die Finanzierung des Ordinariats durch den Nationalfonds, und der Staat war gehalten, die Mittel dazu selbst aufzubringen. Man behalf sich mit der Umwidmung einer Dozentur eines anderen Fachs. Die Kuratel legte bei der Ausschreibung, neben der allgemeinen fachlichen Kompetenz, Wert auf die Vertrautheit des oder der neu zu Wählenden mit der Region Nordwestschweiz und forderte von der Fakultät, die eine Liste mit drei qualifizierten deutschen Kandidaten resp. Kandidatinnen vorlegte, eine entsprechende Korrektur oder Ergänzung.

Da Christine Burckhardt-Seebass von Basel (eine Schülerin Trümpys) im Herbst 1987 ihre Habilitationsschrift einreichte und anschliessend in Regensburg eine Lehrstuhlvertretung wahrnahm, konnte mit ihr eine für Fakultät und Behörden akzeptable Wahl getroffen werden. Das Ordinariat wurde allerdings herabgestuft auf eine vollamtliche ausserordentliche Professur (damals noch eine Ausnahme). Die neue Seminarleiterin musste sich zur Erfüllung ihrer Prüfungspflichten von der Fakultät erst die (eigentlich nur Ordinarien zustehenden) Rechte erteilen lassen.

Ausweitung des Lehrangebots
Erstmals wurde dem Seminar eine für die Weiterbildung qualifizierter Doktoranden dringend nötige Assistenz zugesprochen. Die 50% wurden bei Übernahme des Dekanats durch Frau Burckhardt auf 100% erhöht, dazu kamen zeitweise Projektmitarbeitende in Assistenzstellung. Auch wurden zwei bezahlten Lektorate weiter zugesichert. Die personelle Basis blieb trotzdem schmal. Um einer zu sehr auf die eine Dozentin bezogenen Lehre vorzubeugen, wurden alle Möglichkeiten der Kooperation ausgeschöpft. Die Lektorate gingen an Fachleute aus verschiedenen Museen und an in- und ausländische junge Kollegen. Eine grosse Ehre und wunderbare Bereicherung des Seminarlebens stellte die Berufung von Hermann Bausinger auf die neu geschaffene Gastprofessur der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft für den Sommer 1990 dar. Da das Seminar nunmehr oft auch begabte ausländische Stipendiaten beherbergen durfte, konnten einige von ihnen (so Regina Bendix aus den USA und Elka Tschernokoshewa aus Bulgarien) für Lektorate gewonnen werden, wodurch sie erste für sie wichtige Lehrerfahrungen machten.

Ausserdem ermöglichte der EUCOR-Vertrag den Austausch und die Zusammenarbeit mit den verwandten Instituten in Strasbourg und Freiburg i.Br.. Das entsprach dem Konzept einer Ausweitung der Volkskunde zur Europäischen Ethnologie und einer starken wissenschaftlichen Vernetzung, auch mit den osteuropäischen Ländern und ihren Forschungseinrichtungen. 

In der Lehre wurde auf Vorlesungen zwar nicht verzichtet, den Veranstaltungen mit Übungs- und Diskussionscharakter kam aber das grössere Gewicht zu. Ein klarer Aufbau mit Proseminar, Seminar und Hauptfachkolloquium, mit grösseren und kleineren Exkursionen und mehrwöchigen Feldübungen wurde regelmässig ergänzt durch intensive Lektürewochen, meist zu kulturtheoretischen Fragen, und mehrtägige Kolloquien für Doktorierende (zu denen auch Teilnehmende aus Strasbourg und Zürich geladen waren).

Wert gelegt wurde auf die Vermittlung eines soliden kulturwissenschaftlichen Handwerkszeugs (Bild- und Textanalyse, Umgang mit Dingen, Probleme und Möglichkeiten der qualitativen empirischen Forschung), auf Anstösse zur Auseinandersetzung mit Phänomenen der Gegenwart (Fernsehen, Computerspiele), auf problemorientiertes Arbeiten, aber auch auf Verständnis für das volkskundliche Erbe, für die klassischen Themen, deren Kenntnis die Öffentlichkeit von Volkskundlerinnen und Volkskundlern erwartet und für die sich niemand sonst wissenschaftlich zuständig fühlt. Anders gesagt: bei allen notwendigen Veränderungen, Neuerungen und Anpassungen sollte uns das Gegenwärtige als Gewordenes, als Auseinandersetzung mit der Vergangenheit (die es ebenfalls zu kennen gilt) bewusst bleiben.

Von der Volkskunde zur Kulturwissenschaft
2005 änderte das Seminar seinen Namen von „Volkskunde/Europäische Ethnologie" auf „Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie". Gleichzeitig wurden wie in der ganzen Fakultät die neuen BA- und MA-Studiengänge eingeführt, so dass das Jahr als Zäsur erschien, obwohl die nun nach aussen sichtbaren Veränderungen schon in den Jahren zuvor kontinuierlich erarbeitet worden waren.

Das Seminar orientierte sich bei der Umgestaltung an einer Haltung, wie sie für die Schweiz vielleicht nicht untypisch ist: Es baute um, ohne alle traditionellen Arbeitsgebiete aufzugeben, und setzte zugleich auf Neues, ohne einfach nur trendig sein zu wollen. Denn nach den turbulenten 1970er und 80er Jahren zeigte sich zunehmend, dass gerade auch in Themen und Bereichen, in denen das Fach seit jeher aktiv gewesen war, grosses Potential für neue Zugänge und neue Fragestellungen vorhanden war. Zu nennen wäre etwa die Forschung zum alpinen Raum, in der Schweiz seit jeher Inbegriff des „echt" Schweizerischen, Hort der Tradition und der gesellschaftlichen und politischen Ideale. Vieles davon war längst entmythologisiert worden und die Kulturwissenschaftler hatten sich in der Folge lieber neuen, etwa urbanen Gebieten zugewandt.

Der Wandel im alpinen Raum aber ist heute von brennender Aktualität. Hier fliessen Kernthemen der modernen Gesellschaft zusammen: Änderung der Arbeitswelt, Mobilität, Tourismus- und Freizeitgesellschaft, Verhältnis von Natur und Kultur und ökologische Herausforderungen. Mit Forschungen zum Wandel der Lebenswelt im alpinen Raum oder mit gemeinsamen Projekten mit Museen und kulturellen Institutionen in diesen Regionen leistet das Seminar seinen Beitrag zu diesen Themen. Mit dem „spatial turn", einem der vielen propagierten kulturwissenschaftlichen „turns", kamen zudem räumliche Konzepte, wie sie im Fach lange gepflegt worden waren und etwa zu den grossen Atlanten geführt hatten, zu neuer Aktualität.

Auch andere Bereiche, die in der alten Volkskunde einst im Zentrum gestanden hatten, rücken wieder stärker in den Vordergrund, allerdings unter gänzlich veränderten methodischen und theoretischen Vorzeichen, z.B. die Lied- und Gesangskultur, die im Zeitalter von mp3-Playern, iPod und youtube zu neuen musikalischen Ausdrucksformen findet , oder die Erforschung religiöser Welten, die zwischen Kirchenaustritten, Esoterikwelle, Boom von Freikirchen und Auseinandersetzungen mit Weltreligionen gesellschaftliche Kräfte sichtbar macht, die der noch nicht so alten These der Säkularisierung der westlichen Gesellschaft zuwiderlaufen.

Visuell, materiell, transkulturell
Eine ähnliche Neuinterpretation traditioneller fachlicher Kompetenzen betreibt das Seminar in Gebieten, die eine doppelte Funktion haben, nämlich einerseits behandelte und erforschte Themen sind, andererseits aber auch als Methode der Forschung, der Umsetzung und der Vermittlung dienen. Dazu gehören vor allem die materielle und die visuelle Kultur.

Materielle Kultur spielte im Fach seit je eine wichtige Rolle, ursprünglich vor allem als Reliktforschung, heute aber auch als wesentliches Element moderner Konsum- und Lebensstile, die ohne das Verhältnis der Menschen zu den Dingen gar nicht zu verstehen sind. Dennoch ist die materielle Kultur nach wie vor ein in den Wissenschaften nur am Rande berücksichtigtes Forschungsfeld. Auf der Ebene der Vermittlung dienen Objekte etwa in Museen auch dazu, Forschungsresultate einem breiteren Publikum näher zu bringen, wie das in verschiedenen Ausstellungsprojekten des Seminars geschieht.

Auch die visuelle Kultur gehört zu den lange Zeit vernachlässigten Feldern wissenschaftlicher Aufmerksamkeit, gewinnt aber in den letzten Jahren an Bedeutung. Immer mehr Fächer setzen sich mit Bildern auseinander, die eingeschränkte Perspektive auf Kunstwerke hat einer grundsätzlichen Debatte über die Bedeutung des Visuellen in unserer Gesellschaft Platz gemacht. Auch hier verfügt das Fach über eine lange Tradition. Seit jeher werden Bilder gesammelt und Dokumentationen angelegt. In Basel besonders ausgeprägt ist die Arbeit mit dem ethnographischen Film.

Eine Reihe von Forschungen setzt sich mit Kultur-Definitionen und -Konzeptionen auseinander , auch mit neuen Ansätzen wie etwa dem „immateriellen Kulturerbe", wie es von der UNESCO propagiert wird. Das Seminar beschäftigt sich aber auch zunehmend mit Fragen des gesellschaftlichen Wandels in einem europäischen Kontext. Räumliche Strukturen in städtischen Quartieren, Alltagsphänomene wie Essen, Festkultur, Erben oder der Umgang mit Zeit gehören ebenso zu Lehre und Forschung.
Heutige Lebenswelten sind generell durch eine zunehmende räumliche und zeitliche Entgrenzung gekennzeichnet. Dieser Entwicklung trägt das Seminar Rechnung, indem es einen stärkeren Akzent auf transkulturelle Phänomene setzt. Fragen der Migration wie auch generell gesellschaftlicher Formen der Integration und Ausgrenzung spielen in der Ausbildung seit Jahren eine wichtige Rolle. In Zusammenarbeit mit dem Integrationsbüro des Kantons Basel-Stadt werden regelmässig Lehrveranstaltungen zu diesem gesellschaftlich relevanten Feld angeboten.

Ausbildung als Werkzeugkiste
Merkmal der Ausbildung in Basel ist, dass sie nicht primär auf die oben skizzierten inhaltlichen Schwerpunkte ausgerichtet ist, sondern auf einer Moduleinteilung basiert, in der methodische und theoretische Kompetenzen im Mittelpunkt stehen. Ausgehend von der Überlegung, dass unsere Absolventinnen und Absolventen später in den unterschiedlichsten Feldern berufstätig sein werden und dass inhaltliches Wissen heute sehr schnell veraltet, versuchen wir, ihnen ein methodisches und theoretisches Rüstzeug mitzugeben, das sich auf die unterschiedlichsten Gebiete und Themen anwenden lässt. Im Zentrum der Ausbildung stehen die Bereiche Schrift, Wort, Bild und Sache, also schriftliche, mündliche, visuelle und materielle Felder kulturellen Schaffens, und die Methoden, die benötigt werden, um diese kulturellen Manifestationen analysieren zu können. Dazu kommt eine Auseinandersetzung mit grundlegenden Kultur- und Gesellschaftstheorien.

Perspektiven
Das Fach hat Jahre des Wandels und eines fast stürmischen Wachstums hinter sich. Es gilt nun, die Fundamente so zu festigen, dass sie den neuen Anforderungen standhalten. Denn die von der Universität zur Verfügung gestellten Ressourcen haben kaum zugenommen, so dass das Seminar innerhalb der Fakultät den weitaus höchsten Anteil an Drittmitteln im Verhältnis zu den universitären Finanzmitteln ausweist. Noch immer besteht die Personaldecke aus lediglich einer Professur, einer Assistenzstelle, einer halben Sekretariatsstelle und wenigen Lehraufträgen. In einer genügenden Abstützung durch solide Strukturen liegt denn auch die Herausforderung der nächsten Jahre. Es muss gelingen, die wachsende Anzahl der Studierenden und Doktorierenden so zu betreuen, den grossen Anteil an Drittmitteln so zu verwalten und die vielfältigen Beziehungen mit zahlreichen Institutionen so zu pflegen, dass die Qualität der Ausbildung und Forschung nicht darunter leidet. Ziel ist es, die Studiengänge in ihren Schwerpunkten noch deutlicher zu akzentuieren, vor allem die Schwerpunkte visuelle und transkulturelle Kultur auszubauen, ohne aber die Basis einer breiten kulturwissenschaftlichen Ausbildung zu vernachlässigen. Kultur gehört zu den Schwerpunkten der Universität Basel, die Kulturwissenschaft kann und will hier einen wesentlichen Akzent setzen.