Ein Ritterschlag des Geistes: die Promotion zum Doktor und Magister

Einen der Höhepunkte innerhalb der akademischen Festkultur der Frühen Neuzeit bildete die feierliche Promotion zum Magister oder Doktor.

Mit dem Doktortitel erwarb der Kandidat nicht nur das Recht an einer Universität zu lehren, sondern erhielt in der Selbstbeschreibung der frühneuzeitlichen nobilitas literaria auch einen adels-äquivalenten Titel, der ihm einen hervorgehobenen ständischen Rang verlieh und selbstverständlich nicht umsonst zu erlangen war.

Basel bildete im Gebiet der heutigen Schweiz die einzige Hochschule mit Promotions- bzw. Graduierungsrecht. Der Akt der Graduierung vollzog sich in Basel idealtypisch in sieben Schritten: der Censura, dem Tentamen, dem Examen, der Professio, der Disputatio, der Promotio und dem Essen.

Über die Bedeutung des Doktortitels und allgemein akademischer Titel im Gefüge der sozialen Rangordnung in der städtischen Gesellschaft Basels herrschte allerdings ein das ganze 17. und 18. Jahrhundert  ein anhaltender Streit zwischen Universität und Obrigkeit, der etwa 1760 dazu führte, das der Bürgermeister nicht an der 300-Jahr-Jubiläumsfeier zu Ehren der Universitätsgründung teilnahm, um dem Rektor protokollarich nicht den Vortritt lassen zu müssen.

Der Ablauf des Graduierungsrituals
Über den komplexen Ablauf des Graduierungsrituals in Basel sind wir durch die Autobiographie Felix Platters detailliert informiert: Im Jahr 1557 wurde Platter, der zuvor mehrere Jahre in Montpellier studiert hatte, zum Doktor der Medizin promoviert. Seine Graduierung vollzog sich in einem mehrstufigen Verfahren, das von einer rituellen Investitur mit den Zeichen der Doktorwürde und dem obligatorischen Doktorschmaus abgeschlossen wurde.

Um der Fakultät seine Eignung zum Doktor unter Beweis zu stellen, erbot sich Platter an den „Hundstagen“ also von Ende Juli bis Anfang August ein öffentliches Kolleg zu lesen. An einem Sonntag liess Platter an der Kirchtüre öffentlich seine Vorlesung bekannt machen, die er am 21. Juli vor der gesamten medizinischen Fakultät und einem Grossteil der anderen Professoren über Galens de causis morborum hielt.

Am 14. August wandte sich der angehende Doktor an Oswald Bär, den Dekan der medizinischen Fakultät und bat ihn um die Zulassung zum Doktorat. Einen Tag später wurde er vor einem Dreiergremium in Oswalds Haus geladen, brachte sein Anliegen erneut vor, führte an, wie lange er bereits Medizin studiert hatte und wies seine Magister und Bakkalaureats-Bescheinigung aus Montpellier vor. Allein als die Frage auf das Alter des Kandidaten, kam wurde die Lage schwierig. Platter würde im Oktober erst 21 Jahre alt werden, der Dekan vertrat jedoch die feste Überzeugung, das ein Kandidat nicht jünger als 24 sein dürfte. Platter zog deprimiert von dannen, in der festen Überzeugung seine Zulassung wäre damit gescheitert. Sein künftiger Schwiegervater bot ihm des Abends gar an, ihm sein Pferd zu leihen, damit er nach Montpellier reiten könne, um dort den Doktortitel zu erlangen. Seine Befürchtungen erwiesen sich jedoch als völlig unbegründet.

Am 16. August erschien der Pedell und rief ihn zum „tentamen“, dem ersten mündlichen Examen im Hause Oswalds. Das medizinische Dreiergremium stellte ihm allerlei Fragen, auf die er „herzhaft respondiert, will sy nit so schwer“ gewesen seien, wie er vorher angenommen hatte. Nach einer Stunde bekam er noch eine Aufgabe für den folgenden Tag. Er sollte zwei Texte von Hippocrates und Galen explizieren. Das ganze schloss damit, dass die Tochter des Professors einige Küchlein buk und man einen „Abendtrunk“ einnahm, den Platter bezahlt hatte, wobei die Professoren „gar lustig“ mit ihm waren. Diese Art der Prüfung vollzog sich im Folgenden noch zweimal mit steigendem Öffentlichkeitsgrad. Am folgenden Tag erklärte er eine Stunde lang auswendig die beiden ihm gestellten „themata“, woran sich eine dreistündige Disputation mit den drei Professoren anschloss, über die Platter bemerkte, dass besonders Herr Oswald hierin „ein großer Philosoph sein wolt“. Das ganze Verfahren endete mit einer Aufforderung zur öffentlichen Disputation und einem Abendtrunk samt von der Professorentochter bereitetem Imbiss auf Platters Kosten.

Nun erhielt der Kandidat zwei weitere Themen, über die er eine kleine Auslegung drucken lies und am Sonntag dem 29. August veröffentlichte, indem er sie an die vier Pfarrkirchen anschlagen und „allen doctoribus & Professoribus“ durch den Pedellen schicken liess, der sie auf den nächsten Donnerstag einlud. Obwohl sich Platter nun erkältete, konnte er am 2. September um 7 Uhr morgens mit der öffentlichen Disputation beginnen, die bis 12 Uhr Mittag währte. Hier disputierten, da dies länger nicht mehr geschehen war, unter Anwesenheit „fast aller Academici“, nicht nur Mediziner, sondern auch verschiedene Magister der Philosophie. Mit Gottes Hilfe habe er schliesslich in Ehren bestanden. Jetzt kam es wider zu einer kostspieligen Speisegemeinschaft, diesmal im Gasthaus zur Krone, wo Platter einen Tisch zu bezahlen hatte.

Nun erhielt Platter endlich die endgültige Zulassung zum Einsetzungsritual der feierlichen Promotion. Ihm wurden zwei Promotoren zugewiesen; Doktor Isaac, von dem er die Themata erhielt, und Doctor Oswald, der ihm die Insignien überreichte. Der Kreis der Öffentlichkeit erweiterte sich nun ein weiteres Mal. Platter liess die Einladung drucken und zog am Samstag mit Doctor Isaac und dem Pedellen durch die Stadt und „ludt die heupter, deputaten, Academicos“, viele seiner guten Freunde, darunter auch seinen künftigen Schwiegervater zum bevorstehenden actus publicus.

Bis zum ausgehenden 17. Jahrhundert vollzog sich das folgende Ritual als reine Männerveranstaltung: nicht nur, dass Frauen vom Erwerb akademischer Grade generell ausgeschlossen waren, auch als Zuschauerinnen wurden sie erst spät und unter verschiedenen Bedingungen geduldet.

Am Montag, dem 26. September war es dann soweit. Platter wurde in das Haus des Dekans Bär geführt, man trank Malvasier und kleidete ihn in einen „schwartzen schamelot, rings umher und wo die nat, mit sammt einer hand breit allenthalben ußen verbremdt, in roten hosen und rotem sidenem, attlaßen wammist“ und geleitete ihn zum Kollegiengebäude. Unterwegs, als sie Doktor Hubers Haus passierten, fiel Oswald noch ein, dass man gar keinen Text für eine spontane Auslegung des Kandidaten dabei hatte und lieh kurzerhand ein Buch aus Hubers Stube. Endlich erreichte man die Aula der medizinischen Fakultät, die „statlich tapeßiert“ und „allenthalben vol volcks ist, da lang zevor kein Doctor promoviert hat.“ Platter bestieg die untere, Isaac die obere Cathedra, einige Bläser spielten auf, Doctor Isaac hielt eine Rede und nannte Platter seine „Themata“. Dieser hielt nun auswendig seine Rede, Isaac trat ab und übergab Platter an den Dekan Oswald, der die Investitur mit den insignia doctoralia vornahm: „nach gethoner kurtzen Oration furt er mich vorgendem Pedellen mit dem Sceptro auf die hohe Cathedram, und mit gewohnlicher solennitet setzt er mir mein sammat parret auf, darauf ein schöner krantz, und brucht die übrigen ceremonias, darunder auch er mir ein ring ansteckt.“

Als frischgebackener Doktor musste Platter nun noch eine spontane Probe seiner akademischen Lehrfähigkeit geben: „Als er mich nun fir ein Doctor ußgerieft, sprach er mich an, ich solte ein prob thun, unversehens über etwas offentlich ußzelegen. Schlug er ein blat ettlich im buch herumb, zeigt mir ein ort. Do las ich den text, als stiende er dorin, fieng denselben an auszelegen; so schlacht er das buch zu, mit vermelden, es were gnug, und befilcht mir die dancksagung ze thun, dass ich mit einer langen oration ußwendig ußsprach und hiemit den Actum also beschloß, der über vier stundt gewert hatte.“

Unter Blasmusik verlies anschliessend eine Prozession die Aula und begab sich zum Gasthaus zur Krone, wo der Doktorschmaus ausgerichtet wurde. Über die Prozession berichtet Platter: „Und gieng mit mir der Rector D. Wolfgang Wißenburger, hernoch der alt herr D. Amerbach und andere Academici in zimlicher zal, der Pedel vor mir und die bleser, so durch die gaßen biß zur Herberge bliesin.“ In der Herberge wurden sieben Tische zur Mahlzeit gerichtet, die wie Platter beruhigt bemerkt, „doch nur 4 batzen for eine Person“ kosteten. Die ganze Veranstaltung ging noch bis drei Uhr Nachmittags, da man damals nicht so lange beieinander gesessen habe, wie gegenwärtig, wie Platter hinzufügt und damit auf eine Intensivierung des ostentativen Konsums im Laufe des ausgehenden 16. Jahrhunderts hinweist. Nach dem Essen nahm Platter schliesslich noch einen „Abendtrunk“ im Haus des Doktor Isaac ein.

Der Doktorschmaus, der einerseits die kommunikative Form des gemeinschaftsstiftenden Mahles darstellte, gestaltete sich andererseits vor allem als enormer Kostenfaktor, der 1721 schon einmal 100 fl. betragen konnte. Die hohen Kosten werden verständlicher, vergegenwärtigt man sich allein die Liste der Pflichteinladungen. So hatte man einzuladen: „den Rektor, die Dekane, die Professoren, Doktoren und Lizentiaten aller Fakultäten, den Pedell und den Notar; die Häupter, die Deputaten, den Ratsschreiber und den Oberstratsdiener, endlich die vornehmsten Buchdrucker der Stadt, daneben Studenten, Freunde und andere Gäste, soviel er wollte.“

Über einen ähnlich ausgedehnten Personenkreis verteilten sich auch die Kosten des gesamten Graduierungsverfahrens. Ein Magistrand der Philosophie beispielsweise hatte Gebühren unter anderem an den Fiscus der Fakultät, die Professoren, den Fiscus der Universität, die Saaldiener, den Fiscus des Prytaneums, den Rektor, den Dekan, den Pedell, den Universitätsnotar, den Bibliotheksfiscus der philosophischen Fakultät und evtl. einen Betrag anstatt des Magisteressens zu entrichten. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts weitete sich der Umfang der Festmähler immer weiter aus, bis im 18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Sparsamkeit und aufgeklärter Schlichtheit, der Brauch in Basel offensichtlich allmählich ausser Gebrauch kam.