Die Marxistische Studentengruppe in den 1930er Jahren

Seit 1926 bestand in Basel der «Freibund», welcher aus der «Schweizerischen Mittelschülerbewegung» hervorgegangen war. Um 1930 gewannen marxistische Positionen an Bedeutung. Viele Mitglieder waren Bestandteil eines linken intellektuellen Milieus, welches sich in Basel herauszubilden begann und bis in die SP hineinreichte.

1932 empfand die Gruppe das Bedürfnis nach einer intensiveren theoretischen Auseinandersetzung mit dem Marxismus. Abseits der sozialdemokratischen und kommunistischen Partei suchte man unabhängige linkssozialistische Personen, welche diese Aufgabe übernehmen konnten. In Basel fand sich offenbar niemand, der Blick fiel daher rasch auf Deutschland. Mitglieder der Gruppe wandten sich an den Ihnen bekannten Wolfgang Abendroth (1906-1985), der in Frankfurt als Rechtsreferendar arbeitete und der Kommunistischen Partei (Opposition) (KPO) angehörte, einer Gruppe, die sich gegen die Stalinisierung der Kommunistischen Partei Deutschlands gewandt hatte. Abendroth sagte zwar ab, verwies die Basler aber an seinen Berliner Freund Richard Löwenthal (1908-1991), der eine Zeitlang auch der KPO angehört hatte. Löwenthal kam im Sommersemester 1932 nach Basel, wo er den gewünschten Schulungskurs abhielt. Da er nach Berlin zurückkehren wollte, vermittelte er den Basler Genossen seinen Bekannten Fritz Belleville (1903-1994). Dieser studierte an der Universität Frankfurt Jura und hatte sich nach seinem Ausschluss aus der KPD 1926 den Trotzkisten angenähert.

Belleville kam im Oktober 1932 nach Basel, wo er sich an der Universität in Nationalökonomie, Geschichte und Philosophie einschrieb. Anfang 1933 benannte sich der überwiegend aus Studenten bestehende «Freibund» in «Marxistische Studentengruppe Basel» (MSG) um. Belleville nahm seine Schulungen auf, gleichzeitig engagierte er sich bei der Gründung einer kleinen trotzkistischen Gruppe in Basel, der sich auch einige Mitglieder der MSG anschlossen. Andere engagierten sich in der sogenannten «Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft» (SAG), einer eher informellen Gruppe linker SP-Mitglieder in Basel, welche sich unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland und dem Aufkommen der Frontenbewegung in der Schweiz zusammengefunden hatten, um die Partei in Basel auf einen entschlossenen Linkskurs festzulegen.

Starken Einfluss übten dabei deutsche Emigranten aus, die im Frühjahr 1933 nach Basel kamen. Zu diesen gehörte de facto nach dem 30. Januar 1933 auch Fritz Belleville, der nun nicht mehr - wie urspünglich geplant - nach ein oder zwei Semestern in seine Heimat zurückkehren konnte. Als Student, der vor 1933 in die Schweiz gekommen war, verfügte er zunächst über eine normale Aufenthaltsbewilligung, was seinen Handlungspielraum erhöhte. Gleiches galt für zwei andere ausländische Exponenten der MSG, den aus Danzig stammenden Franz Jakubowsky (1912-1970) sowie den deutsch-rumänischen Medizinstudenten Felix Ippen (1911-1937). Dies unterschied die ausländischen Studierenden von linkssozialistischen deutschen Flüchtlingen wie Fritz Sternberg (1895-1963) oder Max Steinmüller (1902-1970), die sich in Basel im Umfeld der MSG und der linken Sozialdemokraten bewegten. Zu den Schweizer Mitgliedern der MSG gehörten u.a. die Studenten Max Bächlin (1910-2001), Martin Stohler (1914-1966), Willi Wenk (1914-1994), Fritz René Allemann (1910-1996) sowie zeitweise Hans-Peter Tschudi (1913-2002).

Rasch nahm die MSG eine rege politische und publizistische Arbeit an der Universität Basel auf. Bereits 1931 hatte man mit dem Blatt «Der rote Student» eine erste Publikationsreihe lanciert. Von Februar 1933 bis Anfang 1934 erschienen insgesamt sechs Nummern der von der MSG herausgegebenen «Linken Front». Der wissenschaftlichen Debatte widmete sich vor allem die Rubrik «Krise der bürgerlichen Wissenschaft», hinzu kam die Sondernummer «Marxismus als Wissenschaft». Neben Artikeln von Mitgliedern der MSG (u.a. Fritz Belleville und Boris Goldenberg) finden sich Beiträge von Karl Korsch, Richard Löwenthal und Wolfgang Abendroth, der seit April 1933 an der Universität Bern an seiner in Deutschland unmöglich gewordenen Dissertation arbeitete. Eine vollständige Sammlung der «Linken Front» befindet sich im Universitätsarchiv. Sie ermöglicht einen guten Einblick in die Diskussionskultur und das marxistische Gedankengut linkssozialistischer Studierenden unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Bedrohung. Dies gilt auch für das Vortragsprogramm der Jahre 1934, das im wesentlichen Belleville und Allemann bestritten.

Unter der Studentenschaft der Universität Basel blieb die MSG eine kleine Randgruppe, ihr Wirken stiess aber auf teils heftige Reaktionen. Einige Studierende waren offenbar besorgt über eine zunehmende politische Konfrontation an der Universität und warfen der Gruppe vor, diese zu einem Hort des Marxismus machen zu wollen. Man wünschte den Mitgliedern, welche die Universität in einer Flugschrift offenbar als reaktionär bezeichnet hatten, sie sollten nach Moskau gehen, wo sie sicher geistig und materiell unterstützt würden. Demgegenüber betonte die Gruppe, dass sich Universität und Marxismus nicht länger feindselig gegenüber stehen dürften. Sie sah ihre Aufgabe darin, den Marxismus in der Universität zu propagieren und die Interessen minderbemittelter Studierender zu vertreten. Mehrfach scheiterten Versuche der MSG, ihre Statuten durch die Regenz genehmigen zu lassen und so die offizielle Anerkennung als studentische Gruppierung zu erlangen. Vehement engagierte man sich auch in den Debatten um die Entlassung des nationalsozialistisch eingestellten deutschen Medizinprofessors Werner Gerlach durch Regierungsrat und Kuratel 1936.

Besonders heftig waren die Auseinandersetzungen mit der sogenannten «Deutschen Studentenschaft in den Jahren 1933/34, welche sich aus Anhängern des Nationalsozialismus zusammensetzte. Dabei ging es nicht zuletzt um die Hoheit über die ausgelegten Zeitungen und Zeitschriften im Lesesaal der Studentenschaft, den die nationalsozialistischen Studierenden von allen ihnen nicht genehmen Publikationen, darunter die «Neue Weltbühne» gesäubert sehen wollten. Aber auch die «Deutsche Studentenschaft» war eine kleine Minderheit. Die meisten Studierenden hielten sich von politischen Zirkeln fern. Dies galt auch für die grosse Mehrzahl der ausländischen Studierenden, die - so weit sie aus Deutschland stammten - in erster Linie ihr dort aus rassischen oder politischen Gründen nicht mehr mögliches Studium fortführen und erfolgreich beenden wollten.

Ende 1938 löste sich die MSG, welche sich bis zuletzt einen undogmatischen und überparteilichen Charakter bewahrt hatte, auf. Viele ihrer Mitglieder politisierten ab 1935 auf dem linken Flügel der SP. Im zweiten Weltkrieg trennten sich die Wege. Einige (Bächlin, Stohler) gehörten 1944 zu den Mitgründen der neuen Partei der Arbeit, andere (Wenk und Tschudi) blieben in der SP und bekleideten später führende politische Ämter (Ständerat, Regierungsrat und Bundesrat). Fritz Allemann trat als bekannter Publizist hervor. Fritz Belleville blieb sein ganzes Leben in Basel, 1940 wurde er von den Nationalsozialisten ausgebürgert. Während des Krieges war er zeitweise in Arbeitslagern untergebracht. Persönliche Freunde unterstützen ihn all die Jahre materiell wie ideell, ebenso konnte er immer wieder auf wohlwollende Hilfe einiger Professoren der Universität Basel zählen. Sein Studium hat Belleville niemals abgeschlossen. Nach 1945 arbeitete er bis zur Pensionierung als Korrektor bei der Nationalzeitung. Zudem wirkte er als Referent der Schweizerischen Arbeiterbildungszentrale und Präsident der Ortgruppe Basel der Freidenker. Eine Niederlassungsbewilligung erhielt Belleville trotz seiner schweizerischen Ehefrau erst 1954. Eine Einbürgerung wurde ihm offenbar wiederholt als chancenlos signalisiert, 1977 nahm er wieder die deutsche Staatsangehörigkeit an.