Rückblick auf vier Nobelpreise in Medizin und Physiologie

Vier Nobelpreise in Medizin/Physiologie innerhalb von zehn Jahren festigten und stärkten die weltweite Ausstrahlung von Basel als Stätte der Forschung und Lehre in den Lebenswissenschaften.

Nach einem breit gefächerten Studium der Naturwissenschaften an der ETH Zürich, einem Doktoratsstudium in Biologie an der Universität Genf und einem Postdoktorat in den USA wurde mir an der Universität Genf 1960 die Leitung eines Forschungsprojektes über Strahlenschäden an Lebewesen anvertraut. Bei der Bereitstellung der dazu bestgeeigneten Bakterien und bakteriellen Viren stiess ich auf ein einige Jahre zuvor schon beschriebenes Phänomen, das aber in seinen Mechanismen noch nicht erforscht war. In Abweichung vom Hauptprojekt über die Folgen von Strahlenschäden nahm ich mir die Freiheit, einige aussagekräftige Experimente zu diesem unerklärten Phänomen zu machen. Innerhalb von wenigen Wochen wurde mir klar, dass eine weitergehende, vertiefte Forschung darüber sehr zukunftsträchtig sein könnte. Nach Abschluss des Projektes über Strahlenschäden widmete ich meine weitere Forschung grösstenteils der Vertiefung unserer Kenntnisse über bakterielle Restriktions-Modifikations-Systeme, denn darum handelte es sich bei dem wieder aufgegriffenen Phänomen.

Wir wissen heute, dass sehr viele Bakterien genetisch dazu ausgerüstet sind, in die Zelle eindringende Erbinformation (DNA) anderer Lebewesen als fremd zu erkennen. Die dafür verantwortlichen Restriktionsenzyme zerschneiden die langen, als fremd erkannten DNA Fäden schnell in Fragmente, welche dann von anderen Enzymen in die Bausteine der DNA (Nukleotide) zerlegt werden. Gegen 1970 konnten die ersten Restriktionsenzyme aus Bakterien isoliert und in ihren Funktionen erforscht werden. Dabei wurde schnell klar, dass diese Enzyme ein willkommenes Mittel darstellten zur molekulargenetischen Erkundung des Erbgutes beliebiger Lebewesen.

Der Medizin-Nobelpreis 1978 würdigte die biomedizinische Bedeutung der Restriktionsenzyme. Die drei Preisträger waren der Autor dieses Artikels für die Entdeckung der Restriktionsenzyme, der Amerikaner Hamilton Smith für die Isolierung und Charakterisierung von Restriktionsenzymen des Typs II, welche fremde DNA orts­spezifisch und daher reproduzierbar in Fragmente zerschneiden, und der Amerikaner ­Daniel Nathans, der die verfügbar werdenden Restriktionsenzyme des Typs II zum molekulargenetischen Studium von Krebsviren verwendete.

Im Herbst 1971 eröffnete das neu geschaffene Biozentrum in Basel seine Türen. Als einer der ersten Forschungsgruppenleiter wechselte ich damals von Genf nach Basel. Dabei wurde es möglich, die Forschung über Restriktionsmechanismen dank der Anstellung junger, kompetenter Forscher zu vertiefen. Zunächst befasste sich Robert Yuan und später Thomas Bickle als Projektleiter des Biozentrums intensiv mit der Klärung noch ungelöster Fragen über die Restriktionsenzyme.

Das Biozentrum verdankt seine Gründung einigen weit blickenden Wissenschaftern der lokalen Pharmaindustrie und der Universität Basel, sowie der Forschungs­freundlichkeit der Politik. Die praktisch gleichzeitige Schaffung des Friedrich Miescher Institutes (FMI) durch Ciba und Geigy, des Basler Institutes für Immunologie (BII) durch Roche, und des Biozentrums im Umfeld der Universität legte einen soliden Grundstein für den heutigen Schwerpunkt Lebenswissenschaften in Basel. Um 1970 herum war bei der Privatwirtschaft und beim Staat dazu genügend Geld vorhanden.
Diese Situation begann sich bei der ersten Oelkrise in den 1970er Jahren bedrohlich zu verändern, und man überlegte sich auch an der Universität Basel einen Abbau des hoch dotierten Biozentrums. Nach Meinung vieler Beobachter kam der Nobelpreis im richtigen Moment, um die bestehende Drohung einer verminderten finanziellen Unterstützung des Biozentrums massgeblich abzuschwächen. Wissenschaft, Politik und Wirtschaft anerkannten die erfolgte Ehrung mit Stolz.

Diese Entwicklung festigte auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Forschern des Biozentrums und jenen der privatwirtschaftlich getragenen Forschungs­institute FMI und BII, welche vermehrt auch zur Lehre an der Universität beigetragen haben. Wiederum hat wenige Jahre später ein Nobelpreis diese fruchtbaren Verbindungen verstärkt. Im Jahre 1984 wurden die am BII tätigen Forscher Niels K. Jerne und Georges J.F. Köhler mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt für ihre richtungsweisenden Theorien und Experimente im Bereich der Immunologie. Auch die Universität Basel versäumte es nicht, in einer speziellen Veranstaltung in der Aula diese Ehrung zu würdigen.

Gegen die Mitte der 1970er Jahre meldete sich bei mir ein japanischer Wissenschafter, Susumu Tonegawa, der seit 1971 am BII arbeitete und in zielstrebiger Weise beabsichtigte, die Kenntnisse über die molekulargenetischen Grundlagen der Bildung von Immunantikörpern zu vertiefen. In einigen Sitzungen verhalfen wir ihm zum Zugang zu den dafür nötigen Forschungsmethoden. Unsere Ratschläge sowie die Unterstützung durch die am Biozentrum weitergebildete Elektronen-Mikroskopikerin Christine Brack und das wissenschaftlich hoch qualifizierte Umfeld am BII trugen wesentlich dazu bei, dass Tonegawa sein Forschungsziel bald erreichen konnte. Es gelang ihm zu zeigen, dass die grosse Diversität möglicher Antikörper der somatischen Generation von neuartigen Erbgutkombinationen zuzuschreiben ist. Diese Erkenntnis stand eindeutig fest als Tonegawa im Jahre 1981 das BII wieder verlassen hat, um eine Professur am Massachusetts Institute of Technology in den USA anzutreten. Einige Jahre später erhielt Susumu Tonegawa für seine am Basler BII getätigte Grundlagenforschung den Medizin-Nobelpreis 1987. Die zukunftsgerichteten Erwartungen der in den 1960er Jahren tätigen Planer eines biomedizinischen Schwerpunktes im Umfeld der Basler Universität und Pharmaindustrie fanden eine erneute Erfüllung.