Vom Nebeneinander zum Miteinander. Das Schweizerische Tropeninstitut in Basel
Dass in der Schweiz mitten im Zweiten Weltkrieg ein Wissen von den «Tropen» in der Gründung eines Tropeninstituts kulminierte ist erklärungsbedürftig. Andere Institute ähnlicher Natur gehen auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück, als die aufkommende «germ theory» älteren Krankheitsätiologien den Kampf ansagte und diese neue und «wissenschaftliche» Medizin der Landnahme europäischer Kolonialmächte zumindest nicht hinderlich war.
Die Gründung des Schweizerischen Tropeninstituts (STI) in Basel wird nur vor dem Hintergrund eines schon bestehenden institutionellen Netzwerkes verständlich, auf dessen Erfahrung und Wissen das neue Institut bauen konnte. Zu diesem Basler Netzwerk gehört nebst der Mission, der chemischen Industrie, des Zoologischen Gartens, dem Museum für Völkerkunde und dem Naturhistorischen Museum nicht zuletzt auch die Universität. Es erstaunt wenig, dass der Beziehung zwischen dem Tropeninstitut zur Letzeren bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Erstens hat die Geschichte des Tropeninstituts, von einer institutsinternen Geschichtsschreibung abgesehen, bislang generell wenig Aufmerksamkeit erfahren und zweitens scheint die Beziehung zwischen Tropeninstitut und Universität so natürlich, dass es sich scheinbar nicht lohnt, viel Aufhebens darum zu machen. So hat Edgar Bonjour in seiner sich über mehrere hundert Seiten hinziehende Universitätsgeschichte dem Tropeninstitut lediglich ein paar Zeilen gewidmet.
Anlässlich des 550jährigen Jubiläums der Universität soll nun der Versuch gemacht werden, das Entstehen einer neuen Wissenschaft im Basel der 1940er Jahre nachzuzeichnen. Es wird deutlich, dass die im Tropeninstitut sich neu konstituierende «Tropenmedizin» sehr stark auf das oben angesprochene institutionelle Netzwerk stützte und inhaltlich mehr umfasste, als der Begriff der «Tropenmedizin» gemeinhin zu suggerieren pflegt. In ihr vermengen sich drei wissenschaftliche Felder: die Anthropologie, die Medizin und die Parasitologie.
Die Gründung des Schweizerischen Tropeninstituts (STI).
Die Gründung des Schweizerischen Tropeninstituts 1943 in Basel war der spezifischen Situation der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und der sich verschiebenden politischen Machtverhältnisse auf internationaler Ebene geschuldet. Die politischen Entscheidungsträger in der Schweiz blickten bange in die Zukunft, hatten sie doch Angst, dass sich ein gleiches ökonomisches Szenario wie nach dem Ersten Weltkrieg wiederholen könnte: steigende Arbeitslosigkeit, wachsende Unzufriedenheit und erneute kriegerische Auseinandersetzungen. Hauptsächlich der Arbeitslosigkeit sollte wirkungsvoll entgegengetreten werden und deshalb ernannte der Bundesrat schon 1941 Otto Zipfel zum Delegierten für Arbeitsbeschaffung, mit der Aufgabe, die wissenschaftliche Forschung der Schweizer Universitäten in den Dienst ökonomischer Ziele zu stellen.
In einem Brief vom Oktober 1942 forderte Zipfel deshalb alle Schweizer Universitäten auf, ihm Forschungsvorhaben zu unterbreiten, die «der Industrie, dem Gewerbe und der Landwirtschaft vermehrt Arbeit und Nutzen bringen oder die geeignet sind, den Fremdenverkehr und den Export zu heben». Alfred Gigon, Professor für Innere Medizin und engagierter Sozialmediziner, der in seiner Tätigkeit als Wissenschaftler und Arzt stets auch danach trachtete, die Ernährungsgrundlage und die Wohnverhältnisse der Basler Arbeiterschaft zu verbessern, sah Zipfels Forderungen am ehesten durch die Schaffung eines Tropeninstituts verwirklicht. In einem Projektentwurf, den er im Namen der Universität Basel verfasste, machte er deutlich, weshalb die Schweiz eines solchen Instituts bedurfte. Ein Blick über die streng bewachte Landesgrenze hinaus reichte ihm für die Erkenntnis, dass der Weltkrieg die europäischen Volkswirtschaften stark in Mitleidenschaft gezogen hatte. Die Rettung der Schweizer Wirtschaft sei deshalb weniger aus dem brachliegenden Europa zu erwarten als aus jenen Ländern, die er unter dem Begriff «Tropen» zusammenfasst. Während Europa immer stärker in die Kriegswirren hineingezogen wurde, würden ganze Kontinente oder Subkontinente wie Afrika, Asien, Indien oder Südamerika, kontinuierlich reich und die westlichen Länder in Bezug auf materiellen Wohlstand bald überflügeln.
Gigon selbst hatte seine Idee am besten zusammengefasst, als er dem Vorsteher des Sanitätsdepartements Basel-Stadt schrieb: «Das Tropeninstitut soll hauptsächlich wirtschaftliche und wissenschaftliche Aufgaben erfüllen und letztere wiederum im Interesse der Wirtschaft.»
Die Tropen. Interessensgebiet zahlreicher Fächer
Gigons Argumente überzeugten. Er begeisterte mit der Idee eines Tropeninstituts nicht nur den Zoologen Rudolf Geigy, der massgeblich an dem zweiten Projektentwurf für ein STI beteiligt war und das Tropeninstitut später knapp drei Jahrzehnte leiten sollte. Er begeisterte auch die Fakultätsvorsteher der Universität Basel, deren Gedanken für kurze Zeit in die Tropen schweiften und die sich ihrerseits überlegten, inwiefern die eigene Fachrichtung einem solchen Institut dienlich sein könnte. Der Leiter des Museums für Völkerkunde sah zum Beispiel den Nutzen «seines» Fachs, der Ethnologie, dahingehend, die Beteiligten im Rahmen eines speziellen Kurses in die «Umgangssitten des betreffenden Volkes» einzuführen. Die Geographen fanden es unerlässlich, die Expeditionsplanungen mit fundierten Kenntnissen über die topographische Beschaffenheit der fernen Länder zu bereichern und sprachen sich für die Errichtung einer umfangreichen Kartenabteilung aus. Die Theologen ihrerseits sahen vor ihrem geistigen Auge bereits Angehörige der Mission Sprachkurse abhalten. Auch bei der medizinischen Fakultät stiess die Idee eines Tropeninstituts auf offene Ohren. Einwände kamen einzig von Wilhelm Lutz, dem Leiter der «Universitätsklinik für Hautkrankheiten», der daran zweifelte, dass die Stadt Basel von ihrer geographischen Lage her überhaupt damit rechnen konnte, jemals Kranke aus den Tropen zu beherbergen.
Trotz des weitgehend positiven Echos aus den verschiedenen Fakultäten wollte man das Tropeninstitut aber ausdrücklich nicht als ein universitäres Institut gründen. Das Angebot an Lehre, Forschung und öffentliche Dienstleistungen (Impfungen/Informationsdienst) sprengte einen fakultätsüblichen Rahmen und mit der Lehrtätigkeit (Allgemeiner Tropenkurs) wollte man ja betont solche Bevölkerungssegmente ansprechen, die sich nicht ausschliesslich aus dem universitären Milieu rekrutierten. 1943 wurde deshalb die Gründung des STI als eine eigenständige öffentlichrechtliche Anstalt beschlossen. Diese vielseitigen Tätigkeiten, die gegen die Gründung eines Universitätsinstituts sprachen, waren nicht zuletzt Resultat eines noch ungeordneten Wissens von den Tropen – einem Wissen vor der Wissenschaft.