Die Universität während der Weltkriege
Wie bewältigte die Universität die Ausnahmesituationen, die sich durch die Kriege von 1914-1918 und 1939-1945 ergaben? Zu dieser Frage gibt es keine vertieften Untersuchungen. Die von Edgar Bonjour in der Universitätsgeschichte von 1960 im Kapitel «Kriegsmassnahmen» zur Verfügung gestellte Zusammenfassung erlaubt einen Einstieg und das Benennen der wichtigsten Fragen.
Im Vordergrund steht die Frage, inwiefern der Studienbetrieb trotz Militäraufgeboten für Studierende wie für Dozierende weitergeführt werden konnte. Zum Teil waren verkürzte Studienzeiten, Erlass von Studiengebühren und Flexibilität in der Examensordnung die Folge. Im Ersten Weltkrieg fiel auch die Mobilisation der deutschen Staatsangehörigen ins Gewicht, acht Professoren und selbst der Rektor Otto Eger folgten so dem Ruf der Fahne.
Der ‹Ruf der Fahne›
Über Eger, der erst 1910 als Professor für Römisches Recht berufen und bereits 1914 an die Spitze der Universität gesetzt worden war und sich mit Hinweis auf einen an ihn ergangenen Ruf nach Prag eine bedeutende Gehaltserhöhung verschaffte hatte, kann man in David Trefas' Aufsatz von 2010 erfahren, dass er bis zu seinem Wechsel an seine Heimatuniversität Giessen den Status eines allerdings beurlaubten Professors der Universität Basel innehatte.
Eger betätigte sich später in problematischer Weise in Deutschland, 1919 als Gründer eines studentischen Freikorps, später als Mitglied der NSDAP und als Betreuer von Doktorarbeiten mit nationalsozialistischem Inhalt. Eine Korrespondenz aus dem Jahr 1916 beleuchtet die Schwierigkeiten, die infolge des Krieges für den Lehrbetrieb entstanden waren. Basel bettelte gleichsam darum, dass Eger vorübergehend an die Universität zurückkehre: „Es ist Ihnen gewiss bekannt geworden, dass unsre juristische Fakultät seit Beginn des Krieges sich in einer unerwünschten Lage befindet. Herr Prof. iur. Ruck ist ins Feld gezogen - wir wissen nicht, wo er ist -, Herr Prof. Dr. iur Meister ist gefallen, so dass sie z. Zt. nur noch 2 ordentliche Professoren hat statt fünf, da für Prof. Meister noch kein Ersatz gefunden worden ist. Wir befinden uns tatsächlich in einer misslichen Lage und fragen Sie daher an, ob es Ihnen denn durchaus unmöglich ist, für das Sommersemester Urlaub zu erhalten und zu lesen."
Einen kleinen Kontrapunkt bildeten die 1914 erschienen Reflexionen des jungen Theologen Ernst Staehelin.
Politische Auswirkungen
Über die politischen Auswirkungen des 1914 über Europa ausgebrochenen Grosskonflikts, der auch die Schweiz anfänglich tief gespalten hatte, wissen wir wenig. Die akademische Welt engagierte sich damals, zum Beispiel bei der Beschiessung der Universitätsbibliothek von Löwen, vehement für die eine oder andere Seite. Aufschlussreich ist der von deutschen Vertretern der Wissenschaft und Kunst im September 1914 veröffentlichte Aufruf, in dem Deutschlands Schuld am Krieg und seine primäre Verantwortung für die Verletzung der belgischen Neutralität und Ausschreitung in Löwen bestritten wurden. Die deutschen Truppen hätten «an einer rasenden Einwohnerschaft (...) schweren Herzens Vergeltung üben müssen». Und was die Kulturgüter betraf: «Aber so wenig wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen.»
1939 waren die politischen Gegebenheiten klar: Wie bereits die bei der Einweihung des neuen Kollegiengebäudes im Juni 1939 gehaltenen Reden es unzweifelhaft zum Ausdruck brachten, verstanden die Universitätsangehörigen den Konflikt als eine Auseinandersetzung zwischen Feinden der Freiheit und der Humanität und deren Verteidigern. Wesentlich stärker als im Ersten Weltkrieg wurde in dieser Konstellation auch die Verteidigung der Schweiz und des Schweizerischen als ein wesentlicher Beitrag in diesem geistigen Kampf verstanden. Auch die Studentenschaft engagierte sich mit klaren Bekenntnissen und deutlicher Abwehr selbst nur geringfügiger grossdeutscher Allüren.
Zeichen der Solidarität - Die Oslo-Kundgebung
Ende 1943 brachte die Universität mit einer grossen Kundgebung in der Aula ihre Solidarität mit den verfolgten Angehörigen der Universität von Oslo zum Ausdruck. Über tausend Studierende verfolgten dicht gedrängt und zum Teil stehend den Ausführungen des Rektors und eines Studentensprechers.
Die Universität blieb nicht ganz unberührt von nationalsozialistischen/frontistischen Untrieben. Der prominenteste Fall dürfte der deutsch-schweizerische Doppelbürger Friedrich Vöchting-Oeri, Extraordinarius für Agrargeschichte, gewesen sein. Die Behörden gingen noch vor der grossen Wende im Herbst 1943 gegen ihn vor. Die Entlassung vom Juni 1944 wurde im April 1945 vom Bundesgericht bestätigt. Auf einen zweiten Fall wurde man erst nach dem Krieg aufmerksam: Der Geograph Fritz Jeger wurde 1947 wegen wiederholter nationalsozialistischer Propaganda in der Vorlesung nach 20 Dienstjahren im Alter von 67 Jahren entlassen.
Einschränkungen erfuhr der Universitätsbetrieb infolge der kriegsbedingten Knappheit der Heizmaterialien. In beiden Kriegen kam es zu Hilfsaktionen für bedürftige Studierende des eigenen Landes, aber auch für junge Leute mit anderer Staatsbürgerschaft. In beiden Kriegen wurden wertvolle Stücke des Universitätsguts - speziell genannt werden die Glasscheiben aus dem 16. Jahrhundert - sowie das Archiv in Sicherheit gebracht. Ähnliches gilt für das alte Universitätsszepter: Dekan Bonjour holte es vor den auf acht Uhr angesetzten Doktorexamen, weil der Pedell als Soldat an der Grenze stand, jeweils persönlich aus dem Safe im Keller und legte es im Fakultätszimmer zur den Prüfungsakten.
Die Abwesenheiten wegen Militär- und Landdienst rissen empfindliche Lücken ins Studium. Darum wurden in den Jahren 1939-1945 - mit dem Einverständnis der Professoren, wie betont wurde - Vervielfältigungen von Nachschriften wichtiger Vorlesungen organisiert. Es herrschte auch Büchermangel, weil insbesondere ausländische Verlage nicht mehr liefern konnten. Darum wurde eine spezielle Büchersammelstelle eingerichtet, bei der ehemalige Studierende oder ältere Semester ihre Lehrbücher, unter Umständen auch nur leihweise, abgeben konnten.
Zur Kriegszeit gehört in einem gewissen Sinn auch die Nachkriegszeit. 1945/46 war die Universität in verschiedenen Aktionen der allgemein von der Schweiz aus geleisteten Nachkriegshilfe engagiert. Die Universität Basel lud Dozierende und Studierende der Universität Utrecht im Rahmen eines Partnerschaftsprogramms in die Schweiz, Angehöre der Universität Strassburg wurden mit Kleidern und Hausrat versorgt, Jungakademiker aus der badischen Nachbarschaft erhielten Studienmöglichkeiten in Basel und rund 125 amerikanischen Soldaten bot man unter Beizug von Gymnasiallehrern zertifizierte Kurse in englischer Sprache an.
Drei uniformierte Funktionsträger
Das Bild auf dieser Seite zeigt Rektor Carl Henschen, Ordinarius für Chirurgie, am Dies academicus vom 18. November 1944 mit Pedell (links) und General Henri Guisan (rechts). Der Oberkommandierende der Schweizer Armee hatte zuvor am 26. August anlässlich der 500 Jahr-Feier der Schlacht bei St. Jakob an der Birs (auf Vorschlag von Edgar Bonjour) den Ehrendoktor der Philosophisch-Historischen Fakultät verliehen bekommen.
Die Laudatio hielt fest, die Ehrung erfolge gegenüber dem Oberbefehlshaber, «der das Schweizervolk in erhellenden Darlegungen über das Wesen der neuzeitlichen Kriegführung belehrt und selbst die Kriegstüchtigkeit der Armee in der angestammten Schweizer Eigenart fest begründet hat, der in dem gegenwärtigen unheilvollen Kriege, der die Welt verwüstet, beim Schutz der Heimat weise Einsicht zeigte und mit seinem unbeugsamen Mute und seiner hervorragenden Urteilskraft zu seinem Teile die Schweiz bis auf den heutigen Tag vor allem Unheil bewahrt hat, der sich hierdurch sowohl das ganze Vaterland verpflichtet hat wie in besonderem Masse die Dankbarkeit der Stadt Basel verdiente, die an der äussersten Grenze des Schweizerlandes mit Hingebung die Werke des Friedens pflegt.»
Der General kam zum Dies academicus von 1946 erneut nach Basel. Der Historiker Edgar Bonjour war Rektor. In seiner Bankettrede begrüsste er den prominenten Ehrendoktor speziell. Er machte ihm ein Kompliment für den Bericht, den er zu Handen der Bundesversammlung über die Aktivdienstzeit verfasst hat, und erklärte, dass er, wenn er den Ehrendoktor nicht schon früher bekommen hätte, diese Ehrung jetzt für diesen Bericht verdient hätte. In seinen Memoiren von 1983 fügte Bonjour bei, er habe damals nicht gewusst, was später einer seiner Doktoranden herausgefunden habe, dass Guisan den Bericht gar nicht selbst geschrieben habe und der wahre Autor Bernard Barbey gewesen sei. Noch später zirkulierte das Bonmot, man könne beschwören, dass Guisan den Bericht ganz selbst gelesen habe. In Bonjours Memoiren steht nicht, wer Guisan zum Ehrendoktor vorgeschlagen hat (ein Blick in die Akten und in die Tagespresse könnte helfen), da Bonjour aber der Festredner an der St. Jakobs-Feier von 1944 war (vgl. Historiker und Geistige Landesverteidigung), zu deren Anlass Guisan geehrt wurde, darf man annehmen, dass er daran mindestens beteiligt war.