Die Existenzkrise von 1833

Der in den Jahren 1830-1833 zwischen der konservativen Stadt und der liberal-radikalen Landschaft geführte Bürgerkrieg blieb auf die Universität nicht ohne tiefgreifende Auswirkungen. Zum einen setzte der gesellschaftspolitische Konflikt die Universität internen Spannungen aus, und zum anderen brachte der Ausgang des Konflikts, die Kantonstrennung mit der Aufteilung des Staatsvermögens, die Stadt und damit die Universität in finanzielle Nöte.


Der konservative Stadtstaat Basel konnte sich dem in Europa um 1830 vorübergehend aufbegehrenden Reformwillen nicht ganz entziehen. Er sah sich von Seiten der Landbevölkerung der Forderung ausgesetzt, dass das Kantonsparlament sowie ein allenfalls zu bildender Verfassungsrat proportional zu den Bevölkerungsteilen zusammengesetzt sein soll. Dies hätte eine Majorisierung der Stadt durch die Landschaft und eine Vorherrschaft der Radikalen über die Konservativen bedeutet. Die hohen Staatsgeschäfte (etwa die Sicherheitspolitik, aber auch die Steuerpolitik) sowie die Gestaltung von Handel und Gewerbe und die Kulturpolitik (auch das Schulwesen und die Universität!) wären in die Hände der «Bauern» gelangt. Der tonangebende Teil der Professorenschaft sah im Aufstand der Baselbieter nicht nur eine Unbotmässigkeit, sondern auch einen Feldzug der Unwissenheit gegen die höhere Bildung.

Die Kräfte, welche für die Landschaft die politische wie wirtschaftliche Gleichstellung forderten, entstammten zur Hauptsache ebenfalls dem bürgerlichem Milieu, einige waren sogar wie der Jurist Stephan Gutzwiller, der aus dem katholischen Therwil stammende Anführer der Landpartei, ein Absolvent der Universität. Die vielen Pfarrherren, die auf den Kanzeln der Landkirchen Gehorsam gegenüber der städtischen Obrigkeit einforderten, dürften ihre Ausbildung grossmehrheitlich ebenfalls in der Stadt gehabt haben.

Gespaltene Universität
Konservative Professoren stützten mit grosser Selbstverständlichkeit die städtische Position: etwa der Theologe Carl Rudolf Hagenbach-Geigy, 1831 mit 30 Jahren Rektor, stand, um die Stadt zu beschützen, im gleichen Jahr mit Flinte Schildwache und ging auf Patroullie. Andreas Heusler-Ryhner konnte offenbar sein Lehramt als Ordinarius für Bundes- und Kantonalstaatsrecht problemlos mit der Funktion eines Leiters der im Januar 1831 gegründeten konservativen «Basler Zeitung» sowie, seit Oktober 1831, seiner Mitgliedschaft im Kleinen Rat verbinden. Er war ein engagierter Verteidiger der «historischen Rechts» (gegen das ahistorische Naturrecht) und war bekannt für seinen Widerwillen gegen das, was er «liberale Demagogie» nannte. Den Kanton Appenzell-Ausserrhoden bezeichnete Heusler einen «Ehrenräuberstaat», weil dieser die dortige Pressefreiheit bzw. die radikale Polemik gegen das konservative Basel schützte. An seiner Seite wirkten, auch in der genannten Zeitung, die Professoren Christoph Bernoulli und Christoph Friedrich Schönbein. Letzterer, ein Schwabe und 1828 nach Basel berufen, erhielt 1840 das Ehrenbürgerrecht, weil er «in den Zeiten unserer Wirren seine Anhänglichkeit an unsere Stadt dort Wort und Tat an den Tag gelegt hat».

Professoren, die in ihren Lehrveranstaltungen fortschrittliche Konzepte vertreten hatten, ergriffen jetzt, da sie sich durch die konkreten Konfliktverhältnisse herausgefordert sahen, für die konservative Stadt und gegen die legitimen Erwartungen der Landschaft Partei. Selbst verstanden sie sich noch immer als liberal, sie lehnten aber die radikale Variante und ihre Auswüchse, den «Vulgärradikalismus» ab.
Dies war insbesondere bei Alexandre Vinet der Fall, der 1817 als 20jähriger Dozent (seit 1819 Extraordinarius) für Romanistik geworden war und in seinen Vorlesungen über das heilige Recht der Auflehnung gegen gotteswidrige Obrigkeitsgebote doziert hatte, jetzt aber die Konfliktlage so interpretierte, dass es darum gehe, städtisches Recht gegen ländliche Gewalt zu schützen.

Bemerkenswert ist, dass auch deutsche Emigranten wie de Wette, Jung Röper, Meissner und Gerlach in diesem lokalen Konflikt engagierten und auf der Seite der Stadt im akademischen Freikorps kämpften. Der «Ausländer» Wilhelm Martin de Wette verurteilte Schweizer Kollegen, die sich für die Sache der Landschaft einsetzten. Carl Gustav Jung verfasste unter einem Pseudonym ein antiradikales Drama «Der Revoluzzer» und begleitete im August 1833 den städtischen Auszug gegen die Landschäftler als Truppenarzt. Nach dem Debakel an der Hülftenschanz musste er sich mit einem Boot über den Rhein in Sicherheit bringen.

Schon 1831 hatten 60 Studenten ein bewaffnetes Korps gebildet, um die Stadt gegen die aufrührerische Landschaft zu verteidigen. Das könnte einer Mehrheit der Studierenden entsprochen haben.

Es gab an der Universität aber auch das Lager derjenigen, welche mit den Landschäftlern sympathisierten. Allen voran Ignaz Paul Vital Troxler aus Beromünster (LU), der erst 1830 zum ordentlichen Professor für theoretische und praktische Philosophie und Pädagogik und bereits im folgenden Jahr, 1831, (gegen die Kandidaturen von Christoph Bernoulli und Karl Rudolf Hagenbach) zum Rektor der Universität gemacht worden war. Der «fünfzigjährige Feuergeist» Troxler sympathisierte mit den Revolutionären draussen auf dem Lande, sein Haus wurde deswegen durchsucht, man fand jedoch nichts, weil der Vir Magnificus, der übrigens in der «Appenzeller Zeitung» permanent gegen die konservativen Basler polemisierte, zuvor seine Korrespondenz der vergangenen neun Monate verbrannt hatte. Das muss eine ganze Menge Briefe gewesen sein. Es heisst, dass er jeden Posttag rund 4 bis 5 Schreiben erhalten habe.

De Wette kam zum Schluss, dass seine Befürwortung der Berufung Troxlers nach Basel ein kapitaler Fehler gewesen sei, er habe sich vom Teufel reiten lassen, Troxler sei eine Ausgeburt der Hölle. Im September 1831 wurde er seines Amtes enthoben. Basel warf ihm vor, den Pflichten als Rektor, aber auch den Vorlesungspflichten nicht mehr nachgekommen zu sein und sich heimlich aus der Stadt entfernt zu haben. Troxler hatte in der Zeit, da er den polizeilichen Verhören ausgesetzt war, teils aus zeitlichen Gründen, teils aus Protest keinen Unterricht mehr gegeben. Nach einem Intermezzo in Aarau ging Troxler nach Bern, wo er 1834 auf den philosophischen Lehrstuhl an die neu gegründeten Universität berufen wurde. Mit ihm zog Wilhelm Snell, der 1830 noch Rektor gewesen war, nach Bern. Snell hatte vehement für Baselland Partei ergriffen, er war Rechtskonsulent des jungen Bauernkantons und wurde wegen seiner Verdienste 1833 zum Ehrenbürger ernannt. Snell, infolge seiner politischen Agitation 1845 von der Universität Bern entlassen, kehrte nach Baselland zurück, war 1845-48 Landrat und hielt in Liestal Vorlesungen.

Akute Krise mit langfristig stärkender Wirkung
Nach der Teilung des Kantons in die Halbkantone Stadt und Landschaft entbrannte ein heftiger Streit um die Frage, ob das Universitätsgut in die mit der Kantonstrennung fällige Teilung des Staatsvermögens einbezogen oder als unangreifbares Stiftungsgut eingestuft werden sollte. Im Schiedsstreit entschied der Zürcher Obmann mit Stichentscheid gegen die Stadt. Ratsherr und Rechtsprofessir Andreas Heusler qualifizierte dies als «Brandschatzung unter dem Gewande der Gerechtigkeit», und noch 1929 bezeichnete Rektor Erwin Ruck, Professor für Öffentliches Recht, diesen Entscheid in seiner Rektoratsrede als «zivilistisch-doktrinärer Fehlspruch». Edgar Bonjour befand 1960, der Entscheid habe «höhere kulturelle Gesichtspunkte» unberücksichtigt gelassen. Mit einigem Aufwand konnte immerhin die Realteilung vermieden und konnten, da das Universitätsgut wegen seiner Unveräusserlichkeit keinen realen Marktwert hatte, vor der Teilung 25 Prozent in Abzug gebracht werden.

Der Kanton Basel-Stadt hatte für den theoretischen Anspruch von 60 Prozent des Universitätsvermögens dem Kantons Basel-Landschaft eine Auskaufssumme von 331'451 Franken zu bezahlen. 1836 schrieb ein neues Gesetz die Unveräusserbarkeit des Universitätsvermögens fest. Das zuvor zersplitterte Rechnungswesen wurde zusammengefasst und den Universitätssammlungen wurden Kommissionen gegeben. Der junge Kanton Basel-Landschaft verwendete einen Teil der städtischen Auszahlung, um seine Grundschulen aufzubauen.

Krise als Chance
Die Betriebskosten der Universität wurden von rund 40'200 Franken auf rund 34'700 Franken um 13,7 Prozent reduziert (im Jahr 2000 wäre dies von 4 Mio. auf 3,5 Mio. Franken). Die Stadt nutzte die Krise als Chance, das heisst als Gelegenheit, die Universität zu modernisieren. Sie stärkte die aufstrebenden Naturwissenschaften und erwartete Nutzen auch für den «fortscheitenden Gewerbefleiss». 1834 wurden alle Professuren vorübergehend als provisorisch erklärt, die 1835 neu festgelegten Professorengehälter wurden niedrig gehalten, doch sie betrugen nach heutigen Geldwert (2000) immerhin 160'000 Franken, zudem waren Leistungsprämien vorgesehen. Der Lehrkörper wurde durch die Einführung ausserordentlicher Lektoren flexibilisiert, so dass die Regierung «sich erzeigenden Bedürfnissen» Rechnung tragen konnte. Das wurde als Neuanfang gewertet, und am 1. Oktober 1835 wurde mit einer Feier im Münster «die Wiederherstellung der Universität» begangen.

Die Kantonstrennung und ihre Einschränkungen brachten auf der anderen Seite eine langfristige Stärkung: Es gab die Überzeugung, dass die Stadt Basel - gerade jetzt und jetzt erst recht - mit «geistiger Regsamkeit» kompensieren müsse, was sie an Territorium und Gütern verloren habe. So entstand die Freiwillige Akademische Gesellschaft (FAG), die der Universität Jahr um Jahr grosse Beiträge für ausserordentliche Vorhaben zukommen liess. Eine weitere Frucht dieser Episode: 1836 schuf man analog zu den anderen 15 Zünften eine Akademische Zunft.