Daniel Bernoullis Rolle für die Basler Physik

Daniel Bernoulli stammte aus der Basler Mathematikerfamilie Bernoulli. Der Begründer der naturwissenschaftlichen Tradition der Familie, Jakob Bernoulli, hielt ab 1683 private Vorlesungen über Experimentalphysik und gilt als der erste moderne Forscher an der Basler Universität. Bald schon konzentrierte er sich jedoch auf die Mathematik und trug mit seinen Arbeiten massgeblich zur Entwicklung der Wahrscheinlichkeitstheorie bei. Auf ihn geht beispielsweise die Bernoulli-Verteilung zurück, die die Wahrscheinlichkeitsverteilung eines Ereignisses mit nur zwei möglichen Versuchsausgängen beschreibt, und er war einer der Ersten, die die Infinitesimalrechnung anzuwenden verstanden. Bernoulli machte Basel durch seine aktive Teilnahme an den Diskussionen zur aktuellen Forschung zu einem Zentrum der modernen Mathematik. Während er den Lehrstuhl für Mathematik inne hatte, war Theodor III Zwinger Professor für Physik. Dessen Vater war Theologe und Gegner des kopernikanischen Weltbildes und lehnte somit den Einzug der modernen Naturwissenschaft an Universitäten ab. Vater und Sohn Zwinger illustrieren die Kluft, die sich damals zwischen zwei aufeinanderfolgenden Generationen aufgetan hatte. Zwinger hielt ein Experimentalkolloqium vor Studenten, Professoren, Ratsherren und sogar Pfarrern und verwendete dabei eine Sammlung von Instrumenten, die er selbst angeschafft hatte.

Jakob Bernoulli erteilte seinem jüngeren Bruder Johann Unterricht in Mathematik und gab ihm das Rüstzeug, um sich weiter in die neu begründeten Gebiete der Infinitesimal- und der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu vertiefen. Johann stand in engem Kontakt mit dem deutschen Philosophen und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz und unterrichtete einige der führenden Mathematiker der nächsten Generation, zum Beispiel den Basler Leonhard Euler. Als zweiter von fünf Söhnen Johanns wurde Daniel Bernoulli im Jahre 1700 in Groningen in den Niederlanden geboren. Johann Bernoulli hatte zu dieser Zeit an der Universität von Groningen eine Professur inne. 1705 zog die Familie nach Basel: Johann kehrte zurück in seine Heimatstadt, um den Lehrstuhl für Mathematik zu besetzen, der mit dem Tode seines Bruders Jakob vakant geworden war. Er unterrichtete seinen Sohn Daniel in Mathematik, hatte für ihn jedoch eine Karriere ausserhalb der Universität vorgesehen: er sollte Kaufmann werden. Daniel allerdings widersetzte sich den Plänen seines Vaters, er sah seine Zukunft in der Mathematik. Johann gab seinem Sohn teilweise nach und erlaubte ihm universitäre Studien, jedoch im Fach Medizin. Nach Aufenthalten in Heidelberg und Strassburg promovierte Daniel im Jahre 1720 in Medizin über die Mechanik der Atmung. Danach bewarb er sich um mehrere Professuren an der Universität Basel, schied jedoch in den Auslosungen, die damals Teil des Auswahlverfahrens waren, immer wieder aus. So nahm er zusammen mit seinem Bruder Nikolaus II 1725 eine Anstellung an der Russischen Akademie für Wissenschaften in Sankt Petersburg an. Als sein Bruder im Jahre 1726 starb, rief Daniel seinen Freund, den ebenfalls aus Basel stammenden Mathematiker und Physiker Leonhard Euler, als Nikolaus Nachfolger nach St. Petersburg. Daniel Bernoulli fühlte sich in Russland nie sehr wohl und litt aufgrund des rauen Klimas unter gesundheitlichen Problemen. Mehrmals bewarb er sich erfolglos um eine Professur in Basel. Im Jahre 1733 kehrte er schliesslich nach Basel zurück und trat dort die Professur für Anatomie und Botanik an, die ihm durch Losentscheid zugefallen war. Zehn Jahre später gab er die Botanik ab und übernahm die Vorlesungen über Physiologie. Als der damalige Professor für Physik, Benedikt Staehelin, 1750 schwer erkrankte, wurde sein Lehrstuhl ohne offizielle Ausschreibung und unter Umgehung des Losverfahrens mit Daniel Bernoulli besetzt. Daniel Bernoulli war der erste Physikprofessor in Basel, der in grossem Mass theoretische Methoden einsetzte: das Departement Physik der Universität Basel ist in diesem Sinne die Wiege der Theoretischen Physik in der Schweiz.

Bernoullis Interessen waren äusserst vielfältig. Zur reinen Mathematik trug er bei, indem er eine Lösung für die Riccati-Gleichung, eine nichtlineare Differentialgleichung erster Ordnung, vorschlug. Ebenso arbeitete er auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung. 1738 veröffentlichte Daniel Bernoulli sein physikalisches Hauptwerk über bewegte Flüssigkeiten und ihre Eigenschaften, die “Hydrodynamica”. In diesem Werk verwendete er zum ersten Mal überhaupt den Begriff Hydrodynamik. Er formalisierte im Bernoulli-Gesetz den fundamentalen Zusammenhang zwischen Fliessgeschwindigkeit und Druck in einer Flüssigkeit. Dieses findet auch heute noch vielfältige Anwendung, beispielsweise bei der Berechnung der Umströmung einer Flugzeug-Tragfläche. In der Hydrodynamica entwickelte Bernoulli auch die kinetische Gastheorie, die z.B. das Boyle-Mariottsche Gesetz von der umgekehrten Proportionalität von Druck und Volumen idealer Gase erklären konnte. Die Ergebnisse der Forschung zur Strömungslehre waren Gegenstand eines Zerwürfnisses zwischen Daniel und seinem Vater Johann, der ihm die Anerkennung seiner Forschungsergebnisse streitig machen wollte.

Daniel war der Überzeugung, dass mathematische und physikalische Methoden auch bei physiologischen und medizinischen Fragestellungen zum Einsatz kommen sollten. Bereits seine Doktorarbeit baute auf diesem Ansatz auf. Er bediente sich der Mechanik, um den Prozess der Muskelkontraktion zu beschreiben, und berechnete mit Hilfe der Prinzipien der Hydrodynamik als Erster die Arbeit, die das menschliche Herz leisten muss, um den Blutkreislauf in Gang zu halten. Neben Medizin und Physiologie interessierte ihn auch die mathematischen und physikalischen Grundlagen der Musik. Er veröffentlichte Artikel zum Problem der schwingenden Saite und eine erste wissenschaftliche Darstellung der Theorie der Orgelpfeifen. Neben seinen vielfältigen wissenschaftlichen Interessen lag Daniel Bernoulli auch die Lehre sehr am Herzen. Sein Vorgänger Benedikt Staehelin hatte in einem Anbau des Stachelschützenhauses das Physikalische Kabinett gegründet, das eine Sammlung physikalischer Geräte und Instrumente beherbergte, die Staehelin zu Vorführungszwecken erworben hatte. Bernoulli erweiterte das Physikalische Kabinett um viele zum Teil heute noch erhalte Apparate. Im Hörsaal des Physikalischen Kabinetts hielt er während eines Vierteljahrhunderts öffentliche Experimentalphysik-Vorlesungen, die sich grosser Beliebtheit erfreuten.