Die Frage der Gästeliste in der Presse
Mit der Diskussion über die Einladung der Ost-Universitäten zum 500-Jahr-Jubiläum hatte das Jubiläum noch in der Planungsphase eine bislang ungekannte politische Dimension angenommen. Im Kontext des «Kalten Kriegs» war die Bedeutung der Universität als Gastgeberin in politischer, diplomatischer, aber auch moralischer Hinsicht aufgeladen. Davon zeugt auch die Tatsache, dass die Presse zum Thema Stellung bezog. Offensichtlich handelte es nicht nur um eine universitätsinterne Angelegenheit, sondern um eine Frage von öffentlichem Interesse.
Die «National-Zeitung» und die «Basler Nachrichten» reden mit
Die «National-Zeitung» titelte am 4. Oktober 1960 erstmals mit der Überschrift «Basler Universitätsjubiläum mit oder ohne Ost-Universitäten?». Eine erste Stellungnahme zur Frage kam von Karl Barth. Auf ihn folgten im Wochentakt weitere Artikel zum Thema – «Befürworter sowie Gegner von Einladungen an kommunistische Hochschulen» kamen zu Wort, wie die «National-Zeitung» festhält.
In einem ausführlichen Kommentar legte Prof. Jacques Freymond, der Vizepräsident der Stifung Pro Helvetia, am 18. Oktober 1960 dar, warum er es für «vorteilhafter» halte, «den Kontakt zu suchen, als uns in eine negative Haltung zu versteifen»: Einerseits stünden auch andere Staaten wie die USA, die BRD oder Grossbritannien mit den Ost-Staaten über «Kulturabkommen» wie universitären Austauschprogrammen in Kontakt, womit das Ziel einer Isolierung der Ost-Universitäten hinfällig würde. Zweitens böte eine Kontaktaufnahme anlässlich des Jubiläums nicht nur die Möglichkeit, Informationen das Gegenüber betreffend einzuholen, also zu erfahren «wie das Regime in Wirklichkeit aussieht» und damit weitere «Überraschungseffekte» wie den Abschuss der Sputnik zu verhindern, sondern vielmehr, die Gäste über die Situation der hiesigen Universität zu informieren und «durch die Atmosphäre geistiger Freiheit» anzusprechen.
Eine Woche später, am 25. Oktober 1959 kam unter der gleichen Leitfrage «Basler Universitätsjubiläum mit oder ohne Ost-Universitäten?» der Basler Geschichtsprofessor Adolf Gasser zu Wort. Prononcierter als sein Vorgänger plädierte er dafür, in der Gästefrage «von Fall zu Fall abzuwägen». Man solle nur Universitäten einladen, die sich «zum gleichen Ideal bekennen dürfen» und sich von solchen distanzieren, die reine «Propagandainstitute» und «Scheinuniversitäten» seien. Damit war die Diskussion in der Presse eröffnet. Offensichtlich war das Thema von öffentlichem Interesse.
Auch die liberal-konservativen «Basler Nachrichten» sahen sich in der Pflicht, die Leserschaft nicht nur über den schwelenden Konflikt zu informieren, sondern selbst auch Stellung zu beziehen. Das der Universität in weiten Teilen nahestehenden Blatt behielt es sich dabei vor, eine klar ablehnende Haltung gegenüber einer Einladung der Ost-Universitäten einzunehmen.
«Ob oder in welchem Ausmass und Rahmen Vertreter von Hochschulen hinter dem Eisernen Vorhang» zur Teilnahme an den Jubiläumsfeierlichkeiten eingeladen würden, sei «in grundsätzlicher Hinsicht von grosser Bedeutung», befanden die Basler Nachrichten am 31. Oktober 1959. Und sogleich bekannte der Journalist: «Um es gleich vorwegzunehmen: Wir sind der Meinung, man dürfe die Ost-Universitäten nicht einladen.» Er argumentierte, die Universität beginge einen «Verrat» an ihrer «abendländisch-christlich-humanistischen Tradition», würde sie Universitäten einladen, wo «die Freiheit des Geistes geknebelt», «die Würde des Menschen nicht gewährleistet» sei und sich die «Erforschung der Wahrheit nur innerhalb vom Staat festgesetzter Grenzen abspielen darf». Weiter erinnerte er an die Solidarität beim Ungarischen Volksaufstand und fragte: «Was würden etwa die ungarischen Freiheitskämpfer von 1956 empfinden, wenn kadarhörige Kreaturen mit jenen selben Basler Studenten zusammen pokulierten, die seinerzeit flammenden Protest [...] erhoben haben?»
Zeitung als Plattform für eine öffentliche Debatte
Die Fortsetzung in den «Basler Nachrichten» zeigte, dass das Medium Zeitung die Plattform für eine öffentliche Debatte zum Thema geworden war. Zahlreiche Leserbriefe waren eingegangen. Zwar druckten die «Basler Nachrichten» am 12. November 1959 eine von der ihrigen «partiell abweichende Stellungnahme» ab, hielten aber fest, dass die Diskussion nicht wieder ausarten solle: «Die Diskussion nachher in unseren Spalten fortzuführen, scheint uns vorderhand überflüssig.» Vermutlich hätten wiederum zahlreiche Leserinnen und Leser etwas dazu zu sagen gehabt.
Der am 12. November veröffentlichte Gastbeitrag stammte von Prof. Dr. August Rüegg, der sich heftig gegen die im Artikel vom 31. Oktober geäusserten Annahme wehrte, die Situation der Ostblock-Staaten sei mit derjenigen des spanischen Franco-Regimes zu vergleichen. Als Professor für südromanische Literatur lag es ihm offensichtlich am Herzen, zu betonen, dass ein «grundsätzlicher Unterschied zwischen dem russischen und dem spanischen Regime» bestehe. Weiter mahnte er, dass man sich darüber klar sein müsse, «dass wir in vielen Teilen des Auslands durch nichts oder fast nichts bekannt sind, und dass wir uns in andern keiner besonderen Beliebtheit erfreuen». Es würde einen massiven «faux-pas» bedeuten, die Einladung an Spanien infrage zu stellen und damit «die Intelligentsia einer stolzen Nation, die den Kult der Ehre stets besonders hoch gehalten hat, zu brüskieren».
Damit hatte Rüegg unterstrichen, wie viel politische Bedeutung er der Einladung zum Universitätsjubiläum zumass. Und mit der Ansicht, das Thema der Gästeliste habe einen über den universitären und über baslerischen Rahmen hinausragenden Stellenwert, war er nicht allein: Selbst ausserhalb der Region Basel hielt es Einzug in die Presse. Das «St. Galler Tagblatt» befand am 12. Dezember 1959, die Basler Universitäts- und Staatsbehörden hätten sich «geraume Zeit mit einer derart schweren Entscheidungsbürde herumplagen» müssen, zum Schluss aber einen «mutigen Sprung» hinbekommen. Das Nein zu den «Kommunisten», unter dem Vorbehalt, «politisch unverdächtige Gelehrte [...] als persönliche Gäste» zu den Festlichkeiten einzuladen, habe «bemerkenswerte Weisheit und Geschicklichkeit» bewiesen.