Karl Barth: sieben Einwände gegen eine Nicht-Einladung der Ost-Universitäten
Der Basler Theologieprofessor Karl Barth nahm in der langwierigen und kontroversen Debatte darüber, ob die Universitäten jenseits des «Eisernen Vorhangs» zur 500-Jahr-Feier einzuladen seien, eine pointierte Haltung ein. Er sprach sich mehrmals dagegen aus, die kommunistischen Universitäten pauschal von den Feierlichkeiten auszuschliessen, und stellte sich damit vehement gegen die Meinung der Mehrheit der Regenzmitglieder. Barth scheute sich nicht, seine zentralen Argumente immer wieder – zum Schluss sogar in einer öffentlichen Stellungnahme in der Basler «National-Zeitung» – kundzutun, und nahm es in Kauf, zum Motiv «fasnächtlicher Belustigung» zu werden. An den Jubiläumsfeierlichkeiten von 1960 nahm er nicht teil.
Im Sommer 1959 erreichten die Diskussionen rund um die Einladung der Ost-Universitäten, die seit der Planungsphase 1958 in Gang waren, einen Höhepunkt; schliesslich war abzusehen, dass bald eine Entscheidung gefunden werden musste. Der Theologieprofessor Karl Barth (1886-1968) wandte sich am 28. Juni 1959 diesbezüglich schriftlich an den Rektor der Universität, Prof. Dr. Andreas Werthemann, da die Regenzsitzungen regelmässig mit einem von ihm gehaltenen Seminar zusammenfielen. Er schrieb, er wolle «vorsorglich» wissen lassen, dass er seine bereits im vorangegangenen Jahr schriftlich festgehaltenen Standpunkte gegen eine Nicht-Einladung der Ost-Universitäten «in vollem Umfang aufrecht erhalte». Als kurz darauf klar wurde, dass der Basler Regierungsrat in der Sache beigezogen würde, schrieb Karl Barth auch an den Vorsteher des Erziehungsdepartementes, Dr. Peter Zschokke. In einem vierseitigen Brief legte er dar, was seiner Meinung nach dagegen sprach, die Einladungen für das 1960 zu begehende Jubiläum auf die Universitäten und akademischen Institute des Westens zu beschränken. Dabei formulierte er sieben «Einwände». Ebendiese Einwände legte er in einem Artikel vom 4. Oktober 1959 in der «National-Zeitung» auch den Lesern als sieben «Fragen» vor und bat darum, man möge sie «Punkt für Punkt ruhig und sachlich» noch einmal reflektieren.
Sieben Einwände – sieben Fragen
Barths «Einwände» bzw. «Fragen» waren die Folgenden: Erstens sei es ganz grundsätzlich infrage zu stellen, ob es der Universität Basel zustünde, sich ein derartiges «politisch-kulturelles Richteramt» anzumassen, wie es ein bewusster Ausschluss der Ost-Universitäten darstellen würde. Zweitens würde ein solcher Ausschluss einen «Akt Schweizer Aussenpolitik» darstellen, der dem Prinzip der Schweizerischen Neutralität im Ost-West-Konflikt widersprechen und «die internationale Stellung unseres Landes und Staates mutwillig belasten» würde. Drittens verwies Barth nicht ohne Schärfe darauf, wie wenig man es praktiziert hatte, die «Universitäten im Bereich Hitlers und Mussolinis» wegen «ihres totalstaatlichen Charakters zu zensurieren». Vor diesem Hintergrund sei zu überlegen, ob es nun gerechtfertigt sei, mit einer Einladungsbeschränkung, «so laut, wie es bei der beabsichtigten Demonstration geschähe», hervorzutreten. Viertens befand Barth, dass der geplante Ausschluss der östlichen Universitäten eine «Teilnahme an der Ideologie und Praxis [...] des Kalten Krieges» darstelle, während es doch gerade die Aufgabe auch von Kirche, Sport und Wissenschaft sei, «Brücken, statt abzubrechen, zu bauen».
In den Punkten fünf und sechs führte Barth aus, wie pauschalisierend eine Nicht-Einladung aller Universitäten des Ostens vorgehen würde: Während man damit «das Respektable, ignorieren würde», das von den Vertretern der Ost-Universitäten geleistet würde, geriete aus dem Blick, dass auch im «‘freien Westen'» – wie Barth ironisch apostrophierte – immer wieder versucht werde, die Wissenschaft «zum Instrument ihr wesensfremder Zwecke» zu machen. Er stellte gar die Frage, ob nicht gerade die Universität Basel in ihrer älteren Geschichte «gelegentlich ziemlich intensiv nach Totalstaat geschmeckt hatte». Gerade die den Ost-Universitäten unterstellte «Unfreiheit» war es, die ein zentrales Schlagwort in der Debatte rund um die Einladungen zum Universitätsjubiläum geworden war. Für Barth war jedoch klar: Auf die «innere» Freiheit der Gesinnung kam es an, nicht sosehr auf die «äussere» der Umstände. Der letzte Punkt in Barths Argumentation betraf schliesslich die «Würde» des baslerischen Universitätsjubiläums. Ein Jubiläum müsse «humanen, liberalen und also universalen Charakter» haben; würde sich die Universität hingegen dafür entscheiden, das Jubiläum unter das «Zeichen jenes Ausschlusses» zu setzen, so hätte dies eine «provinziale und sektierende Prägung, die jedenfalls für die Universität Basel untragbar ist».
Ein Bekenntnis mit Folgen: Barth wird im «Spiegel» und an der Fasnacht zitiert
Sosehr es Barth daran lag, für seine Meinung universitätsintern und in der Presse einzustehen, sosehr war ihm klar, dass er mit seinen Argumenten keine Mehrheit für sich würde gewinnen können. So kündigte er in seinem Zeitungsbeitrag vom 4. Oktober 1959 bereits an, dass er damit rechne, dass «leicht zum Gegenstand ernstlichen Unwillens oder auch fasnächtlicher und sonstiger Volksbelustigung werden könnte», wer die von ihm gestellten Fragen äussere. Damit lag er nicht falsch: Zur Fasnacht 1960 war es am «Zofingerkonzärtli» tatsächlich Barth, der als «Lyyche» auf der Bühne parodiert wurde. An der traditionellen Vorfasnachtsveranstaltung der Studentenverbindung Zofinga, der auch Barth angehörte, werden bis heute jeweils drei prominente Persönlichkeiten verspottet, von denen man sagt, sie würden die Persiflage nicht lebend überstehen (darum als «Lyyche», d.h. Leiche bezeichnet). Wie Barth es bereits im Zeitungsartikel angekündigt hatte, wusste er die Belustigung aber mit Humor «zu tragen». Er besuchte die Veranstaltung am 26. Februar 1960 und liess sich auf der Bühne mit seinem Double ablichten.
Und selbst ausserhalb der Schweiz fand Barth mit seinem dezidierten Aussagen zur Frage der Ost-Universitäten Beachtung: «Der Spiegel» nahm am 23. Dezember 1959 die sieben Einwände, die Barth gegen eine Kollektivabsage an die Ost-Universitäten formuliert hatte, zum Anlass für einen zwölfseitigen Bericht über den Basler Theologieprofessor. Die sieben «boshaften Fragen», die der «greise Gelehrte» an seine Professorenkollegen gerichtet hatte, bildeten den vorläufig letzten «in einer schier unübersehbaren Kette wackerer Streiche», befand das deutsche Nachrichtenmagazin. In der Tat hatte sich Barth, der kein blinder Anhänger des Kommunismus war, aber auch in einer inneren Distanz zum Westen stand, immer wieder als «Störenfried abendländischer Selbstzufriedenheit» erwiesen, wie es der «Spiegel» formulierte. Barth hatte in zahlreichen Äusserungen und Aktionen deutlich gemacht, dass er dem kommunistischen Ideal näher stand als dem kapitalistischen; er hatte zugleich aber auch immer dafür plädiert, zwischen den realen Formen des Ideals und dem eigentlich Gemeinten zu unterscheiden.
500-Jahr-Jubiläum Jubiläum ohne Karl Barth
Darüber, was Barth vom zu guter Letzt gefassten Entscheid hielt, Vertreter des Ostens immerhin als «persönliche Gäste» am 500-Jahr-Jubiläum empfangen zu können, lässt sich nur spekulieren. Er selbst jedenfalls nahm nicht an den Feierlichkeiten teil und liess sich von seinem Arzt bescheinigen, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen unmittelbar nach Semesterende in die Ferien begeben müsse und sich «den vorauszusehenden Anstrengungen des Jubiläums» besser nicht aussetze. In seinen Briefen hielt Barth fest, er freue sich über den «Reingewinn von 10 zusätzlichen Ferientagen», die er in seinem Alter – er war 74jährig – gut gebrauchen könne. Zugleich formulierte er auch eine Abneigung gegen «Kollektivselbstverherrlichungsceremonien». Damit hatte er einen pointierten Begriff gefunden, in dem eine gewisse Verärgerung und Sarkasmus über den Verlauf der Debatte zur Einladung der Ost-Universitäten nachklangen.