Die Gattinnen der Dozenten schenken zwei Wandteppiche

Neben den gesonderten Programmpunkten für die Ehegattinnen, die es auch schon bei den Einweihungsfestlichkeiten des Kollegienhausgebäudes gegeben hatte, hielten die Ehegattinnen der Basler Dozenten an einer zweiten Tradition fest: Wiederum schenkten sie einen selbstgestickten Teppich. In einer feierlichen Übergabe, die auch im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt wurde, übergaben die Ehefrauen zwei Wandteppiche, an denen sie mehrere Jahre gearbeitet hatten. Aus heutiger Sicht kann dieser Akt als Zeitzeugnis verstanden werden, das über das mehrdeutige Verhältnis von Frauen zur Universität Basel um 1960 Auskunft gibt.

Als am ersten Jubiläumstag die auswärtigen Gäste abends im Kollegiengebäude empfangen wurden, kamen die «Gattinnen der Basler Dozenten» gleich nach der Ansprache des Rektors zu Wort. 78 Ehefrauen hatten fünfeinhalb Jahre an zwei grossen Wandteppichen gestickt, die sie der Universität nun zum Jubiläum feierlich übergaben. 6300 Stunden hatten sie eigenen Angabe zufolge nach der Vorlage der Künstlerin Maria Helena Vieira da Silva an den Teppichen gearbeitet, die fortan die Stirnwand der Aula der Universität schmücken sollten. Es freue sie, das Geschenk zu überreichen, sagte Amélie Ludwig-von Sprecher, denn damit könnten die Ehefrauen ausdrücken, «dass auch wir in der Lage sind, der Alma mater eine Gabe auf ihr Fest darzubringen». Es erstaunt nicht, dass ausgerechnet Amélie Ludwig-von Sprecher es war, welche die Dozentengattinnen vertrat. Sie war die Ehefrau des Carl Ludwig, der 1930-46 als Regierungsrat der LDP amtete und sich zwischen 1948-59 als Präsident der Schweizer Spende an die Kriegsgeschädigten sowie als Verfasser des sogenannten «Ludwig-Berichts» zur Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 einen Namen gemacht hatte.

Trotz aller Bescheidenheit, die Amélie Ludwig-von Sprecher an den Tag legte, wenn sie davon sprach, dass man die «wahren Künstlerinnen» und «fleissigen Arbeiterinnen» nicht namentlich nennen wolle, welche jahrelang «in aller Stille» am Teppich gearbeitet hätten, fehlte es nicht an einer gesunden Portion Stolz: Ihr Werk gehöre «nach Aussagen von kompetenten Fachleuten wohl zu den ganz grossen Schöpfungen unserer Zeit». 

Bewegung in den Geschlechterverhältnissen
Um 1960 war das Verhältnis von Frauen zur Basler Universität bzw. die Situation der Frauen an der Universität von verschiedenen Lagen geprägt. Einerseits waren Frauen seit 70 Jahren an der Universität als Studierende zugelassen, andererseits bildeten Studentinnen immer noch eine deutliche Minderheit. Noch deutlicher zeigten sich die Geschlechterverhältnisse im Lehrkörper: Erst 1964 wurde die erste ordentliche Professorin, die Slavistin Prof. Dr. Hildegard Schröder, an der Universität Basel gewählt. 

Der starken Unterrepräsentanz von Frauen an der Universität entsprach die Tatsache, dass die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern in der Schweiz noch in weiter Ferne schien: 1957 erhielten die Baslerinnen das Stimm- und Wahlrecht zwar auf der Ebene der Bürgergemeinde, 1959 fiel aber eine erste eidgenössische Abstimmung negativ aus. Aus Protest über «die erneute Missachtung des staatsbürgerlichen Rechtsanspruchs» legten die Lehrerinnen des Basler Mädchengymnasiums einen eintägigen Streik ein, welchen die Regierung mit «mit Befremden» zur Kenntnis nahm und den sie aufs Schärfste verurteilte. Von der Erschütterung der traditionellen Geschlechterverhältnisse in der Nachkriegszeit und von der Suche nach neuen Geschlechterarrangements zeugten auch die kontroversen Debatten um das 1958 von der Basler Autorin Iris von Roten herausgegebene Buch «Frauen im Laufgitter – offene Worte zur Stellung der Frau». In diesem beschrieb die Autorin die rechtliche und soziale Situation von Frauen in den 1950er-Jahren als durch ein patriarchales Unterdrückungssystem gekennzeichnet. Während die Einen mit Empörung auf die Inhalte des Buches reagierten, warfen andere Iris von Roten gar vor, sie hätte sich zu provokativ zur «Stellung der Frau» geäussert und so die nationale Abstimmungsniederlage von 1959 mit verschuldet. 

Freude und Bestätigung beim Teppichsticken
Die Teppichübergabe der Basler Dozengattinnen fand im historischen Kontext dieser Diskurse statt. Auch die einleitenden Worte des Prorektors Andreas Werthemann sind vor diesem Hintergrund zu verstehen: Da wurden das idealisierenden Geschlechterstereotyp der weiblichen Treue und, etwas allgemeiner, der Ordentlichkeit beschworen und Lob gespendet, das gleichzeitig freundliche Impflichtnahme bedeutete: «Sie sind ja, Verehrteste, in der Befolgung von Anweisungen viel gewissenhafter und treuer als wir...» In diesem Sinne forderte er die Gattinnen der Gäste auf, dafür zu sorgen, dass die Männer pünktlich zum Fest erscheinen und alles Nötige, zum Beispiel die Eintrittskarte, bei sich haben. 

Was lässt sich nun über die Bedeutung der geschenkten Teppiche aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive auf das Universitätsjubiläum von 1960 sagen? Offensichtlich hatten die Ehefrauen Spass daran, die zwei Teppiche gemeinsam herzustellen. Amélie Ludwig-von Sprecher betonte, die fünf Jahre, in denen den Frauen ein Zimmer im Universitätsgebäude für ihre Stickarbeit zur Verfügung stand, seien «eine schöne Zeit gewesen». Mehr noch: «Sass man einmal an dem Rahmen, so konnte man sich kaum davon trennen. Es war so wundervoll ruhig in dem Zimmer, und manchmal kam man etwas spät nach Hause. [...] Oft waren alle Fakultäten vertreten. Man lernte viele liebe Menschen kennen und schätzen. Man erfuhr von den Kindersorgen, Schulproblemen oder von wunderbaren Reisen.» Nicht ganz ohne Häme wurde gerne kolportiert, dass die Stickerinnen zuweilen die Arbeit ihrer Vorgängerinnen wieder rückgängig machten, um die gemeinsame Arbeitszeit künstlich zu verlängern. Selbst bei der offiziellen Übergabe war davon die Rede, wenn die Rednerin sagte: «Dass manchmal aufgetrennt werden musste, was am Tag zuvor mit viel Mühe gestickt worden war, führte zu belebenden und heiteres Episoden.»

Die gemeinsame Arbeit an den drei Rahmen, an denen jeweils vier Damen gleichzeitig sitzen konnten, erfüllte für die Frauen verschiedene Funktionen. Einerseits war sie ein Ort – zudem ein Ort in der Universität – , an dem man sich mit Gleichgesinnten und Frauen aus der gleichen sozialen Schicht treffen und austauschen konnte. Andererseits scheint die Stickarbeit den Frauen eine gewisse Bestätigung gegeben zu haben. Ihre Ehemänner hätten ihre Arbeit jedenfalls zu jeder Zeit «mit viel Verständnis und Interesse» verfolgt, liess Amélie Ludwig-von Sprecher dankbar wissen. Und auch der feierliche Anlass der Geschenkübergabe dürfte die Frauen motiviert haben, am «Gemeinschaftswerk» mitzuarbeiten.

Trotz diesen als positiv beschriebenen Erlebnissen der Ehegattinnen wäre es undenkbar, eine solche Geschenktradition in der heutigen Zeit fortzusetzen. Damit verbänden sich zu sehr das Schlagwort «Geschlechterungleichheit» und die Vorstellung einer Reduktion der Ehefrauen auf «häusliche Tätigkeiten» und den beruflichen Status ihrer Ehemänner.