Zur jüngsten Geschichte des Historischen Seminars seit 1990
Zwischen 1991 und 1997 kam es zu einer erneuten Berufungswelle. Das Kollegium der ordentlichen vier Lehrstühle bestand nun aus Achatz von Müller (Geschichte des Mittelalters), Claudia Opitz-Belakhal (Geschichte der Frühen Neuzeit), Josef Mooser (Neuere Allgemeine Geschichte) und Kaspar von Greyerz (Geschichte der Frühen Neuzeit).
Hinzu kamen 1996 und 1997 Umwandlungen von bisherigen Extraordinariaten bzw. einer Assistenzprofessur in Ordinariate und Spezialprofessuren: Martin Schaffner (Neuere Allgemeine Geschichte), Heiko Haumann (Osteuropäische und Neuere Allgemeine Geschichte), Regina Wecker, Georg Kreis (Neuere Allgemeine Geschichte) und Werner Meyer (Geschichte des Mittelalters).
2000 stiess Susanna Burghartz zunächst als SNF-Förderprofessorin, 2005 als ordentliche Professorin (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit) zum Kollegium, 2001 schliesslich Patrick Harries (Afrikanische Geschichte).
Damit war ein Kollegium zusammengekommen, das gemeinsam mit einem forscherisch ausgesprochen aktiven Mittelbau die für den Zeitraum charakteristischen Neuorientierungen der Geschichtswissenschaft namhaft vorangetrieben hat. Überdies war es schon nur darin innovativ, dass nun vermehrt auch Frauen vertreten waren – nachdem 1965 mit der Mediävistin Berthe Widmer die erste Frau (als Extraordinaria) ins Professorinnenkollegium eingezogen war.
Kulturwissenschaftliche Wenden in den 1980/90er Jahren
Als sich die Sozialgeschichte in den 1980er Jahren als neues Paradigma etablierte, löste sie eine ganze Reihe von kritischen Bewegungen und damit Innovationen aus: Historische Anthropologie, Erinnerungsforschung, Selbstzeugnisforschung und historische Kulturwissenschaft, aber auch eine um diese Ansätze bereicherte Sozialgeschichte wurden am Historischen Seminar mit entwickelt und vorangetrieben.
Diese Ansätze verschoben die Akzente von ökonomischen und sozialen Strukturen und Prozessen auf Sinnstiftungsvorgänge – nicht in einem antithetischen Sinn, sondern als Vermittlung von Lebensbedingungen und Handlungsformen. Dabei geriet Kultur nicht nur, aber besonders auch in Basel erneut ins Zentrum. Auf neue Weise stellte sie die Vermittlungsfunktion der Geschichte zwischen Kultur- und Gesellschaftswissenschaften auf ein theoretisch und empirisch begründetes Fundament.
Wider die blinden Flecken: Geschlechtergeschichte und Geschichte jenseits von Westeuropa
Zu dieser Vervielfältigung von Ansätzen kam in den 1990er Jahren eine anders begründete Diversifizierung hinzu. Sie war das Resultat einer kritischen Auseinandersetzung mit den blinden Flecken einer als «universalistisch» oder «allgemein» deklarierten, aber allzu häufig einäugig ausgeführten bzw. männer- und (west-)europazentrischen Geschichtsschreibung.
Die Frauen- und Geschlechtergeschichte war in Basel schon früh gepflegt worden. Eine Serie von Lehrveranstaltungen mit hiesigen und internationalen Historikerinnen liess das Historische Seminar Basel seit den 1980er Jahren zu einem deutschsprachigen Zentrum der Frauen- und Geschlechtergeschichte werden. Die Bemühungen um eine institutionelle Absicherung mündeten 1997 in eine Spezialprofessur für Frauen- und Geschlechtergeschichte.
Der Ruf nach einer Ausweitung westeuropazentrierter Geschichtsschreibung fand in Basel Berücksichtigung, als 1991 zunächst eine Spezialprofessur für Osteuropäische Geschichte eingerichtet wurde. 2001 ging man einen Schritt weiter und gründete eine Spezialprofessur für Afrikanische Geschichte. Damit war der Blick über den westeuropäischen Tellerrand verankert. Weitsichtig wurden überdies Grundlagen geschaffen für die gegenwärtig aktuellen Entwicklungen hin zu transnationalen und globalen Ausrichtungen der Geschichtsschreibung.
Kein Ende der Geschichte
351 Jahre nachdem die Geschichte als Sammlung staatspolitischer Vorbilder in die Universität Basel Einzug gehalten hatte, ist Vielheit in einem anderen Sinn zum Programm geworden: Nicht in einem abgeschlossenen Kanon von Wissensbeständen und Ansätzen veranschlagt das heutige Historische Seminar die Einheit des Fachs. Sondern in einem epochenübergreifenden und zukunftsoffenen Diskussionszusammenhang, innerhalb dessen jede Generation ihren Bezug zur Vergangenheit neu erkunde und aus den jeweils konkreten Handlungszusammenhängen Sinnbezüge zur Vergangenheit schaffe.