Triebkräfte und Ziele

Was waren die Triebkräfte und Ziele der heterogenen Reformbewegung? Einerseits war es ein Reagieren auf wachsende Zahlen der Studierenden, anderseits der Eindruck, dass modernisierende Reformen unvermeidbar seien, Modernisierung zum Teil jedoch im widersprüchlichen Sinn der Leistungssteigerung und der Demokratisierung. Leistungssteigerung durch bessere Koordination und entsprechende Führungskapazität und Demokratisierung durch Einführung der Mitsprache gewiss der Studierenden, aber mindestens so sehr der unteren Ausbildungskräfte (Extraordinarien, Privatdozierenden, Assistierenden).

Der stärkste Druck kam übrigens weniger von den Geisteswissenschaften aus (denen man gerne einen Hang zum Revolutionären nachsagt), sondern eher von den Naturwissenschaften. Die erste öffentliche Vorlesungskritik galt in Basel einer Veranstaltung der medizinischen Fakultät.

Auf Instituts- und Fakultätsebene wurde dies in bescheidenen Ansätzen verwirklicht. Auf der gesamtuniversitären Ebene kam es 1971 zur Umwandlung der Regenz. Mit dieser „halben“ Reform war der Druck für eine „ganze“ Reform weg. Diese hätte in der Maximalvariante, abgesehen von zusätzlichen Mitteln, die stets nötig waren und stets gefordert wurden, eine radikale Demokratisierung des Universitätsbetriebs mit starker Mitsprache der Studierenden bei der Gestaltung der Studieninhalte und bei der Berufung der Dozierenden bedeutet. Im November 1971 präsentierte die Regierung einen definitiven Entwurf eines Universitätsgesetzes, welches dasjenige von 1937 ersetzen sollte und u.a. die Schaffung eines Universitätsrates vorschlug. Die Beratungen zogen sich hin und endeten 1980  in einem Nullentscheid.

Alles in allem blieb die Ordinarien-Universität bestehen, die Haltung „absolutistischer Primadonnen“ - eine Formulierung aus dem Jahr 1962 des Natur-Nachwuchswissenschaftlers Uli Steinlin - nahm parallel zum anti-autoritären Trend der Gesellschaft freundlichere Züge an. An die Stelle der Erwartung automatischen Gehorsams trat zum Teil sogar beflissenes Bestreben, vermittelte Vorgaben ausführlich zu begründen.

Es bleibt - für die schweizerischen Verhältnisse, die von Vorgängen in Nachbargesellschaften stark geprägt waren, eine offene Frage, ob von der universitären Jugend wesentliche Reformimpulse auf die Gesellschaft ausgingen oder ob nicht eher umgekehrt die Universitäten nur den gesamtgesellschaftlichen Wandel für sich umgesetzt haben.

Ausdruck des auch bei den Ordinarien herrschenden Willens zur Aufgeschlossenheit ist der Verzicht des 67jährigen Privatrechtlers Hans Hinderling im Juni 1968 auf die Rektoratswürde zu Gunsten des 46jährigen Staatsrechtlers Kurt Eichenberger; dies mit der Begründung, man befinde sich in einer Übergangszeit mit Problemen grundsätzlicher Natur, und da sei es doch besser, dass nicht allzu viele Generationen zwischen dem Rektorat und einer Jugend liege, „die auf die eine oder andere Weise für die Ideale einer neuen Zeit kämpfen will“.

Unter dem Präsidium eines ehrwürdigen Altrektors (des Theologen Ernst Staehelin) berieten Studierende, ob man den Dies academicus abschaffen soll (Stichwort: „Muff unter den Talaren“). Der typische Kompromiss bestand darin, dass man die rituelle und darum etwas suspekte Universitätsfeier um einen Tag der wissenschaftlichen Begegnung erweiterte - wenigstens während einiger weniger Jahre, bis das Neue wieder den Geist aufgab und das Alter munter weiterlebte. Die vielen Aufbrüche der 1960er Jahre machten nur bedingt einen Aufbruch.