Universitäres Theater
Rund um die Universität bewegte sich 1968 einiges. Ein starker Impuls ging vom Basler Theater aus, das von den beiden «Dü», dem Regisseur-Direktor Werner Düggelin und dem Hausschriftsteller Friedrich Dürrenmatt, geführt wurde. Die aktive Studentenschaft, von der Dynamik angezogen, die sie selbst nur in bescheidenem Mass hatte, veranstaltete mit dem Theater ein gemeinsames Treffen.
Das Interesse war derart gross, dass das Bernoullianum nicht genug Platz bot und man aus dem Diskussionsabend (vom 26. November) ein Theater-Matinee (vom 8. Dezember) machen musste. Man strömte zusammen, die Erwartungen waren sicher grösser als das Gebotene, aber man war deswegen nicht wirklich enttäuscht, denn bereits die Menge machte die Veranstaltung zu einem Ereignis, dem man gerne beiwohnte.
Das grosse Interesse ist darum speziell erstaunlich, weil das Thema eigentlich unklar war. «Basler Theater-Universität Basel» lautete der Titel; in einem Begleitschreiben schien das starke Modewort «Konfrontation» auf. Es sollte Gelegenheit für gegenseitige Kritik gegeben werden. Und es sollten Standortbestimmungen vorgenommen, Begriffsklärungen betrieben, Koordination angedacht, Vorschläge und Wünsche eingesammelt und Hoffnungen ausgesprochen werden. Punkt.
Auch das grosse Stadttheater war bis auf den letzten Platz besetzt. Attraktiv waren vor allem die Diskussionsmannschaften (kein «Gruppenbild mit Dame»). Auf Seiten des Theaters: Werner Düggein, Friedrich Dürrenmatt, Hermann Beil, Eberhard Pieper, Reto Babst, Erich Holliger, Christoph M. Leimbacher. Auf Seiten der Universität (schön alphabetisch): die Proff. Max Geiger (Theol.), Hein Rupp (Germ.), Rudolf Stamm (Angl.), Martin Stern (Germ.), Max Thürkauf (Chem.), Frank Vischer (Iur.), Gerhard Wolf-Heidegger (Med.) - und ein paar anonyme Studenten. Der Presseberichterstattung waren die Teilnahmen zu entnehmen von Michael Haller (Jg. 45, Philosopiestudent, Kolibri-Alleinredaktor, später Lokalredaktor der «Basler Zeitung», dann Prof. für Journalistik in Leipzig) und Wilfired Jentsch, Assistent und Vordenker am Deutschen Seminar, Herausgeber der Zeitschrift „Polemos", seit 1980 Co-Worker in Gardening, Landscaping and Curative Education in Australien und engagiert in der Waldorfpädagogik.
Angerichtet und teilmoderiert hat die Sache der Schreibende, Präsident der Kulturkommission. Diskussionsleiter war dagegen der Feuilleton-Redaktor der «Basler Nachrichten, Reinhardt Stumm. Eine erspriessliche Diskussion konnte an den beiden viel zu langen Tischen nicht aufkommen. Der ebenfalls eingeladene und mit einem Profil als Extraordinarius für Politische Philosophie bestqualifizierte Arnold Künzli verweigerte sich (zu Recht) und liess wissen: «Ich bin offen gestanden erschrocken, wie ich die Liste der Teilnehmer gesehen habe, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass bei einem solchen Massenaufmarsch irgend etwas Vernünftiges herausschaut.»
Was doch geredet wurde, lässt sich auf Grund der Presseberichterstattung einigermassen rekonstruieren (National-Zeitung und Basler Nachrichten je am 9. Dez. , Neue Presse vom 10. Dez. 1968, Annette Freitag). Der Diskussionsleiter wollte von der Universitätsseite wissen, ob denn die Professoren und die Studierenden gegenüber dem Theater die gleichen Erwartungen hätten. Diese Frage, so ein Berichterstatter, sei deutlich daneben gegangen. Eine Erwartung der Theaterleute dürft nicht überrascht haben: Man wünschte sich mehr Studierende in den Theateraufführungen. Am nächsten war man beim nicht ausformulierten Interesse jener Tage, als man etwas zufällig auf die Frage stiess, was die Aufgabe eines «politischen Theaters» sei. Studierende wollten vor allem Ideologiekritik, um die so gewonnenen Einsichten in «Aktion» umsetzen zu können. Prof. Stern wünschte Reflexion nach dem Theater über das Erlebte und keine «Bleihammerhilfe». Regisseur Holliger wünschte von der Uni «ein permanentes Zuspielen von Bällen». Und Dürrenmatt: Er wünschte genauere Texte und Übersetzungen, da man doch verstehen müsse, «was man ändern wolle». Er hatte damals gerade Shakespeares «Titus Andronicus» bearbeitet. Wilfried Jentsch erwartete vom Theater, es müsse seinem Publikum bewusst machen, dass es auch im Alltag zu sehr Zuschauer sei.
68er-Sätze bekam man vor allem von Max Thürkauf zu hören, der mit Bert Brecht vor den «erfinderischen Zwergen» warnte, welche von jedermann käuflich zu erwerben seien, das heisst vor den rein technischen Erfindern jenseits von Gut und Böse. Nach anderthalb Stunden mehr oder weniger aneinander gereihten Monologen durfte sich auch das Publikum beteiligen. Das war aber bereits der Abgesang. Etwas Spannung war vorübergehend aufgekommen, als mitten in der Matinee eine unautorisierte Mimengruppe die Bühne für sich in Beschlag nahm (vgl. den Pressebericht unten) und zum Schluss dieser kurzen Darbietung Flugblätter gegen der Krieg in Biafra und die Wiederaufführung der «Green Berets» von den oberen Rängen flatterten. Ein Hauch von «68».
Intervention im Stil des «Living Theatre" (Hans R. Linder in NZ vom 9.12.68)