Der Aufstieg der Romanistik im 16. Jahrhundert

Obschon der Lehrbetrieb während der reformatorischen Unruhen wohl nie ganz aussetzte, kam es 1532 nach der Einführung der Reformation zu einer «Wiedereröffnung» der Universität. An der juristischen Fakultät lehrte damals Bonifacius Amerbach als einziger Professor. Noch in den 1530er Jahren kehrte eine allmähliche Konsolidierung ein, die nicht allein die Organisation der Fakultät, sondern auch die öffentliche Bedeutung der Akademiker stärkte.

Gegenüber einer einzigen verbliebenen Legistenprofessur verfügte die Kanonistik nach den Lehrstuhlkürzungen von 1507 mit zwei Professuren noch immer über ein deutliches Übergewicht. Als hingegen nach der Wiedereröffnung erneut drei Professuren besetzt werden konnten, fand sich darunter kein Kanoniker mehr. Dass der Doktor weiterhin in beiden Rechten («doctor utriusque iuris») verliehen wurde, war nur noch eine Reminiszenz an die Zeit, als die Jurisprudenz ebenso im römischen wie im kanonischen Recht seine Grundlage hatte. Denn das Studium an der nachreformatorischen Fakultät stellte im 16. Jahrhundert beinahe ausschliesslich auf die Auslegung des römischen Rechts ab, wie es im justinianischen «Corpus Iuris Civilis» aus dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert überliefert wurde.

Die Einrichtung der Lehrstühle entlang des römischen Rechts
Jeder Lehrstuhl war einem Teil des spätantiken Corpus gewidmet: den Institutiones, dem Codex und den Pandekten. Die Institutiones stellen ein Lehrbuch dar, das zur Einführung in den Codex und die Pandekten diente. Im Codex wurden die noch gültigen Kaisergesetze von der Zeit Hadrians bis ins Jahr 534 zusammengestellt. Dabei verlieh die Aufnahme in den Codex Gesetzeskraft, während nicht aufgenommene Gesetze ihre Geltung verloren. Die Pandekten (griech. pandektai: Allumfassendes) bzw. Digesten (lat. digesta: Geordnetes) enthalten zentrale Auszüge aus den Werken römischer Rechtsgelehrter. Um diese Kompilation, die verschiedene Autoren bis in die Zeit des ersten vorchristlichen Jahrhunderts einbezog, von Widersprüchen frei zu halten, wurden wesentliche inhaltliche Eingriffe vorgenommen. 

Das «collegium» der drei Professoren
Die drei Lehrstuhlinhaber bildeten zusammen das «collegium». In dieses Gremium wurde ein Professor erst nach zwei Jahren aufgenommen, wie es auch an anderen Fakultäten üblich war. Im 18. Jahrhundert wurde diese Bestimmung allerdings geändert, weil ältere Professoren eine Entlastung von ihren Ämtern wünschten. Da die Pandekten den wichtigsten Teil der Überlieferung des römischen Rechts bilden, war ihre Lehre mit dem höchsten Prestige verbunden. Die in Basel neu ernannten Professoren hatten zunächst die Institutiones zu übernehmen und konnten mit dem Freiwerden von Professuren über den Codex bis zu den Pandekten gelangen. Hatte Bonifacius Amerbach seit 1525 über Institutiones gelesen, vertrat er nach dem 1530 erfolgten Weggang des Johannes Sichardus allein das römische Recht. Ab 1536 erhielt er Unterstützung, da in diesem Jahr die spezielle Professur für den Codex und im nächsten diejenige für Institutiones besetzt wurde. Die Gliederung der Fakultät in die Bereiche Institutiones, Codex und Pandekten hielt sich in ihren Grundsätzen von 1537 bis ins Jahr 1818. 

Den Lehrstuhl für den Codex übernahm 1544 für kurze Zeit Johann Ulrich Zasius, Sohn des berühmten Freiburger Juristen Ulrich Zasius. Als Katholik wurde er in Basel nicht von allen Seiten wohlwollend aufgenommen. Eng befreundet war er mit Bonifacius Amerbach, dem Schüler seines Vaters. Amerbach hatte Johann Ulrich Zasisus aus zeitweiliger Verschuldung geholfen und die Rolle eines väterlichen Mentors übernommen. Dies wird besonders in den Briefen deutlich, die Zasius nach dem Verlassen Basels schrieb; in einem von ihnen wandte er sich an Amerbach als «ergebenster und anhänglichster Diener und Sohn». Auch Amerbachs eigener Sohn Basilius wurde Professor an der Basler Fakultät. Nach artistischen Studien in Basel ging er für das Rechtsstudium nach Tübingen, später in die italienischen Zentren juristischer Gelehrsamkeit nach Bologna und Padua, schliesslich nach Bourges. Nachdem er 1560 in Bologna sein Doktorexamen abgelegt hatte, lehrte er in Basel den Codex und übernahm später den Lehrstuhl für Pandekten. 1581 trat er das Amt des Stadtsyndikus an, wurde also Rechtsanwalt der Stadt. Auch in dieser Hinsicht fand er sich als Erbe seines Vaters, der dieses seit der Reformation bestehende Amt von 1533 bis 1562 bekleidet hatte. Neben seiner universitären und politischen Tätigkeit in Basel war Bonifacius Amerbach Rechtsberater anderer Städte und deutscher Fürsten gewesen. Auch Basilius wurde ein gefragter Rechtsgutachter und es mag dies mitunter der Grund sein, weshalb das wissenschaftliche Werk bei beiden schmal ausfiel. 

Rechtsprofessoren zwischen akademischer Lehre und politischer Praxis
In der Verbindung von akademischen mit städtischen Ämtern bildeten die beiden Amerbachs keine Ausnahme. Das öffentliche Ansehen der Juristen stieg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts deutlich an, womit eine grössere gesellschaftlich-politische Wirksamkeit einherging. Die Bedeutung der Fakultät wuchs zunächst über den studentischen Zustrom. Nachdem von der Wiedereröffnung 1532 bis zum 11. Mai 1563 kein einziges Doktorexamen an der Basler Fakultät abgenommen worden war, überstieg in den 80er und 90er Jahren die Zahl der juristischen Promotionen diejenige der anderen Fakultäten. Dies hängt freilich auch damit zusammen, dass in den 1550er Jahren europäische Koryphäen der Rechtswissenschaften wie Alciatus in Pavia oder Duarenus in Bourges gestorben waren und dass seit 1562 die französischen Religionskriege deutsche Studenten vom Besuch der dortigen Universitäten abhielten. Auf diese Weise erhielt Basel einen deutlich grösseren Zulauf. Die Verbindung von Universität und Stadt ergab sich zum einen daraus, dass Studenten nach ihrem Abgang von der Universität in städtische Dienste traten, zum anderen aber nicht weniger daraus, dass der Kreis der Professoren auch praktisch-politische Tätigkeiten übernahm. Besonders viel Zeit kam den Professoren der Juristischen Fakultät durch die Erstellung von Rechtsgutachten abhanden, was  die Forschungstätigkeit stets einschränken musste.