Jurisprudenz als Brücke zwischen Konzils- und Stadtuniversität
Die Hohe Schule, die während des Basler Konzils zwischen 1432 und 1449 bestand, hatte ihren Schwerpunkt in der Juristischen Fakultät. Weil die Lehre auf das kanonische Recht fokussierte, stand die Jurisprudenz in enger Verbindung mit der Theologischen Fakultät. Beides, der Vorrang der Juristen und die Nähe zur Theologie, kennzeichnet auch die Anfänge der bürgerlichen Universität in den 1460er Jahren und markiert somit eine Kontinuität zwischen den zwei Institutionen.
Für die Verbindung von Recht und Kirche, aber auch für den Zusammenhang zwischen der alten und der neuen Hohen Schule kommt dem Juristen Peter von Andlau eine entscheidende Rolle zu. Nachdem er bereits für die Konzilsuniversität tätig gewesen war, setzte er sich in den 1450er Jahren für die Gründung der neuen Universität ein. An der dort eingerichteten Juristischen Fakultät besetzte er das erste Ordinariat für kanonisches und das zweite für römisches Recht. Bis zu seinem Tod im Frühjahr 1480 wirkte er als Vizekanzler, wurde zudem dreimal zum Dekan und 1471 zum Rektor gewählt.
Mit Heinrich von Beinheim beteiligte sich ein weiterer Kanoniker massgeblich an der Universitätsgründung. Für das Konzil hatte er verschiedene Funktionen übernommen und 1439 an der damit verbundenen Universität den kirchenrechtlichen Doktor erworben. Als das Projekt einer Universitätsgründung zur Diskussion stand, verfasste er 1459 ein wegweisendes Gutachten für den städtischen Rat.
Auch der erste Dekan der juristischen Fakultät, Peter zem Luft, hatte als «doctor decretorum», als Doktor des Kirchenrechts, bereits dem Konzil angehört. Der Position der Juristischen Fakultät entsprechend waren es in der Mehrzahl Juristen, welche die personelle Brücke über die universitätslose Zwischenzeit der 1450er Jahre bildeten.
Die Hierarchie von kirchlichem und kaiserlichem Recht
Den Vertretern des Kirchenrechts (Kanonisten) kam vor denjenigen des kaiserlichen Rechts (Legisten) eine bevorzugte Stellung zu. Diese Privilegierung tritt auch in der Bestimmung hervor, die Klerikern das Studium des weltlichen Rechts untersagte - ein Verbot, das in der Zeit des Basler Konzils noch Geltung hatte. Da allerdings ein Verständnis des kanonischen Rechts ohne Kenntnis des weltlichen Zivilrechts kaum möglich war, wurden in der Gründungszeit der Universität Dispensationen von diesem Verbot angestrebt. Der Erfolg einer durch Peter von Andlau initiierten Bittschrift an den Papst zeigt sich darin, dass an der Basler Universität von Beginn weg neben dem kanonischen auch das kaiserliche Recht gelehrt werden konnte.
Dem weltlichen oder kaiserlichen Recht, das im Wesentlichen aus dem überlieferten römischen Recht bestand, wurde zunächst nur eine Professur gewidmet. Dieser standen drei Lehrstühle der Kanonistik gegenüber, die dadurch einen klaren Vorrang behaupten konnte. Über die Besetzung der Professuren entschied der städtische Rat, der im In- und Ausland, vorzugsweise in Italien und Deutschland, Erkundigungen über mögliche Kandidaten einholte. Während aus Deutschland Kanonisten berufen wurden, suchte der Rat aus Italien angesehene Legisten zu gewinnen. Denn die humanistischen Juristen Norditaliens übten auf die damalige Entwicklung des weltlichen Rechts den grössten Einfluss aus. Ihres Ranges bewusst, knüpften sie an ihre Anstellung anspruchsvolle Bedingungen und forderten beträchtliche Gehälter. Die Besoldung italienischer Legisten fiel gewöhnlich höher aus als an den anderen Fakultäten üblich und überstieg auch deutlich die Löhne der kanonistischen Kollegen.
Spannungen zwischen Nord und Süd:
Deutsche Kanonisten und italienische Legisten
Zwischen den Dozenten des weltlichen und des kirchlichen Rechts ergaben sich wiederholt Streitigkeiten, die eine Schlichtung durch die Behörden notwendig machten. Diese Verständnisschwierigkeiten waren mitunter ein Grund für den zumeist nur kurzen Basler Aufenthalt italienischer Gelehrter. Den in Deutschland betriebenen rechtswissenschaftlichen Studien fühlten sich die Italiener überlegen. Nicht zuletzt konnten sie sich dabei auf die Tatsache berufen, dass wohlhabende deutsche Studenten vorzugsweise italienische Rechtsfakultäten aufsuchten. Entsprechend waren italienische Professoren wenig geneigt, sich mit Verhältnissen zu arrangieren, die ihren Vorstellungen nicht entsprachen.
Dies geht aus einigen in den 1460er Jahren von italienischen Rechtslehrern verfassten Gutachten hervor, die den Basler Lehr- und Forschungsbetrieb kritisieren und eine Reorganisation nach italienischem Muster vorschlagen. Die Opposition zwischen italienischen und deutschen Gewohnheiten tritt in einem 1466 von Bonifacius Gambarupta erstellten Gutachten offen zutage. Die Anziehung, welche die Basler Fakultät auf deutsche Studenten ausübe, sei auf die italienischen, nicht auf die deutschen Professoren zurückzuführen. Denn bei letzteren könnten Deutsche bequemer in Deutschland selbst studieren.
Der Einfluss der italienischen Juristen war trotz ihrer gewöhnlich kurzen Wirkungsdauer beträchtlich. Dem von ihnen unterrichteten römischen Recht wude in der Lehre eine Geltung verschafft, die zu einer zunehmenden Verweltlichung des rechtswissenschaftlichen Studiums führte. Damit verband sich eine allmähliche Orientierung der Ordnungen und Satzungen des Basler Rates an den Kategorien des römischen Rechts, was zugleich eine Säkularisierung des Staatsbetriebs bedeutete.
Der Verweis auf italienische Verhältnisse, insbesondere auf das Modell Bolognas, diente auch der Behauptung der gesamtfakultären Interessen gegenüber den anderen Fakultäten. Die eigenständige Rolle der Jurisprudenz innerhalb italienischer Universitäten wurde im Herbst 1462 als Begründung genommen, um auch den Juristen in Basel eine eigene Administration mit eigenem Rektor zu fordern. Während es in Prag 1372, ebenfalls angeregt durch den Vergleich mit Bologna und Padua, zu einer Abtrennung einer juristischen Universität mit eigenem Rektor kam, fanden die Forderungen der Basler Juristen jedoch kein Gehör.
Gesetze und Gedichte: Die Jurisprudenz humanistischen Einschlags
Die an italienischen Universitäten geschulten Juristen trugen wesentlich dazu bei, dass die Lehre und Publikationstätigkeit eine humanistische Prägung erhielt. In der literarischen Tätigkeit Basler Dozenten zeigt sich die Bemühung um einen eleganten Stil, der mit der Ausbreitung der Kenntnis antiker Klassiker einherging. Eine enge Verbindung ergab sich in Basel zwischen dem römischen Recht und der Poesie. 1464 wurde der Humanist Petrus Antonius aus Final bei Genua angeworben. Zu seiner Aufgabe, über Poesie zu lesen, trat bald eine Lektur über Institutionen des römischen Rechts hinzu. Auch der Verfasser der Moralsatire «Dass Narrenschyff ad Narragoniam» (Basel 1494), der Strassburger Sebastian Brant, hatte seit 1475 in Basel zugleich artistische und juristische Studien betrieben und unterrichtete darauf während zweier Jahrzehnte bis 1500 Poesie und beide Rechte, bevor er nach Strassburg zurückkehrte, wo er als Rechtskonsulent und später als Stadtschreiber wirkte.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts nahm die Präsenz italienischer Juristen an der Universität ab und mit ihr die Bedeutung des römischen Rechts in der Lehre. Doch gilt dieser Rückgang nicht nur für die legistische Disziplin. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts musste die Juristische Fakultät gesamthaft Kürzungen hinnehmen. Das Professorenkollegium bestand seit 1507 nur noch aus zwei Kanonisten und einem Legisten, nachdem erstere in der Zeit nach der Universitätsgründung zunächst von drei auf vier, letztere von einem auf zwei Lehrstühle aufrücken konnten.
Claudius Cantiuncula und die Verteidigung des römischen Rechts
Dennoch konnte die geschmälerte Fakultät auch im 16. Jahrhundert angesehene Juristen gewinnen. Mit dem aus Lothringen stammenden Claudius Cantiuncula besetzte ab 1518 einer der bedeutendsten Juristen seiner Zeit die Professur für römisches Recht. Er verkehrte im humanistischen Kreis um Erasmus von Rotterdam und Beatus Rhenanus und korrespondierte von Basel aus mit den anderen Koryphäen seines Fachs, zu denen Ulrich Zasius, Gulielmus Budaeus und Andreas Alciatus gehörten.
Während der sechs Jahre, die Cantiuncula in Basel verbrachte, wurde er nicht nur über seine akademische Lehre und Forschung wahrgenommen. Da er als Parteienvertreter in Prozessen auftrat, Rechtsgutachten für Privatleute erstellte und den städtischen Rat in Rechtssachen beriet, wurde er auch einer ausseruniversitären Öffentlichkeit bekannt.
Besonders wirkungsvoll war Cantiunculas öffentliches Eintreten für das in Basel marginalisierte römische Recht. 1522 liess er in Basel eine akademische Rede zur Verteidigung des bürgerlichen (römischen) Rechts erscheinen: «Oratio Apologetica in patrocinium Iuris Civilis». Die bürgerlichen Gesetze suchte er dabei gegen die Vorwürfe zu verteidigen, dass sie weder notwendig noch brauchbar seien, dass sie im Widerspruch zum Evangelium stünden und dass sie aufgrund der Komplexität des Stoffes und der Fülle an Kommentaren nicht durchdrungen werden könnten.
Dass Cantiuncula den Einwand, das bürgerliche Gesetz widerspreche dem Evangelium, als die zentrale Spitze seiner Gegner besonders eingehend behandelt, ist als weiteres Zeichen der grundlegenden Konkurrenz zwischen Kanonisten und Legisten zu verstehen. So antwortet Cantiuncula auf die explizierten Vorwürfe nicht zuletzt mit dem Gegenvorwurf, die theologische Jurisprudenz schüre in der studentischen Jugend schlechte Stimmung gegen das bürgerliche Recht.
Doch suchte er die Kritik auch sachlich mit Rekurs auf die Bibel, die Kirchenväter, die klassische Literatur und das Naturrecht zu widerlegen. Da auch die Weisheit der klassischen Rechtsgelehrten von Gott inspiriert sei, stimme der Inhalt der römischen «leges civiles», des Zivilrechts, mit den christlichen Grundsätzen überein. Die Argumentation in dieser wie in anderen Schriften zeigt dabei den Einfluss des Erasmus, der seinerseits die weltliche Literatur gegen den Vorwurf der Gottlosigkeit verteidigte.
Humanistische Bildung betrachtete Cantiuncula als Voraussetzung juristischer Studien und verlangte deshalb von jedem angehenden Juristen neben Gottesfurcht und Sittlichkeit auch Latein-, wenn möglich Griechischkenntnisse sowie in jedem Fall historisches Wissen. In der Förderung von Humanismus und römischem Recht stimmte Cantiuncula mit seinen italienischen Vorgängern überein. Ihrer auf ebenso zahlreiche wie umfassende Kommentare gestützten Methode, dem «mos italicus», setzte er allerdings die Bedeutung des eigenständigen Quellenstudiums entgegen und trat damit für den sogenannten «mos gallicus» ein.