Arnold Künzli (1919-2008)

Arnold Künzli wurde am 15. Juli 1919 als Sohn eines Textilkaufmanns in Zagreb geboren. Infolge der Wirtschaftskrise musste die Familie 1930 mittellos in die Schweiz zurückkehren, wo Künzli bei seiner Tante in Bern die Gymnasialzeit verbrachte. Nach der Matur studierte Künzli ab 1938 Philosophie, Germanistik und Romanistik in Zürich. Hier wurde er 1946 für eine Arbeit zu Kierkegaard und der Angst des modernen Menschen promoviert. Schon in der Kriegszeit begann Künzli, sich politisch und publizistisch zu engagieren. Seine politischen Aktivitäten als Mitglied des Gotthard-Bundes galten damals zunächst der rechtsbürgerlich dominierten «geistigen Landesverteidigung». Der unverfrorene Stil gewisser Stellungnahmen liess Künzlis Bereitschaft zum Nonkonformismus bereits erkennen. Publizistisch war Künzli in dieser Zeit als Redaktor des «Zürcher Studenten» tätig.

Unter dem Einfluss antifaschistischer Emigrantenkreise, in denen Künzli zu verkehren begann, insbesondere dem Umfeld seiner ersten Frau Franca Schiavetti (später Magnani), entwickelte Künzli allerdings bald eine dezidiert linkspolitische Haltung. Von 1946 bis 1955 arbeitete Künzli als Auslandredaktor der linksliberalen Basler «National-Zeitung» in Rom, London und Bonn. Die Weiterarbeit als Inlandredaktor des Blatts führte ihn 1956 nach Basel. 1962 kündigte er seine Stelle, nachdem der Abdruck eines Textes von ihm verweigert wurde.

In den Folgejahren begann seine Dozentenlaufbahn. Er habilitierte 1964 in Basel mit einer Aufsehen erregenden «Psychographie» von Marx und war zunächst als Privatdozent an der Basler Universität tätig. 1966 weilte er als Gastdozent an der Freien Universität Berlin, wo er mit Betroffenheit die Ablehnung zur Kenntnis nahm, welche die Professorenschaft den politischen Forderungen von Studierenden entgegenbrachte. Prägend war für Künzli in dieser Zeit der Besuch der berühmten Sommerschulen der kritisch-marxistischen Praxis-Gruppe in Korcula, in denen er den führenden linkspolitischen Denkern der Zeit begegnete. 1971 konnte der Basler Privatdozent trotz seiner freilich in der damaligen Schweiz höchst umstrittenen politischen Position an seiner Universität ein Extraordinariat für Politische Philosophie antreten, das er bis 1984 innehatte. Seine Vorlesungen und Abendseminare hatten stets ein grosses Echo, seine Veranstaltungen versammelten Interessierte aus zahlreichen Disziplinen.

In und neben der akademischen Arbeit bemühte sich Künzli stets leidenschaftlich, die Rolle eines kritischen Intellektuellen in der politischen Öffentlichkeit wahrzunehmen. Ein grösseres politisches Projekt war die Ausarbeitung eines Parteiprogrammentwurfs für die SP Schweiz, welche Künzli mit einer Arbeitsgruppe, der auch die Schriftsteller Otto F. Weber und Peter Bichsel angehörten, ab 1977 unternahm. Der Programmentwurf orientierte sich, geprägt von den Diskussionen in Korcula, an der Idee der Selbstverwaltung. Die Parteispitze lehnte den Entwurf jedoch ab. Höhnisch kommentierte der damalige Parteipräsident Helmut Hubacher den Entwurf als «Zukunftsmusik aus der Kinder-Trompete». Zur Enttäuschung Künzlis beschloss der Parteitag 1982 ein völlig verändertes Programm.

Nach der Emeritierung 1984 zog Künzli nach Roveredo, wo weitere Publikationen entstanden. Später zog er wieder zurück in die Deutschschweiz nach Bremgarten bei Bern. Dort starb er am 29. Februar 2008 an den Folgen eines Unfalls.

Künzlis Denken kreiste bis zuletzt um politische Themen. Er war ein entschiedener Verfechter des demokratischen Sozialismus. Künzli verstand die Sozialdemokratie als Vollendung der französischen Revolution durch die Ausweitung der Menschen- und Bürgerrechte vom Politischen auf das Ökonomische. Als Leitmodell sozialdemokratischer Politik schwebte ihm dasjenige der Selbstverwaltung vor, wie er es im SP-Programmentwurf skizzierte. Künzli blieb in der Entwicklung seiner politischen Theorie stets bereit zum Widerspruch auf alle Seiten und forderte auch als Lehrer zum eigenständigen kritischen Denken auf. Entsprechend wandte er sich auch in vielen Publikationen gegen jeden quasireligiösen Dogmatismus auch linker politischer Theorien. Seine unbeirrte Eigenständigkeit führte gegen Ende seines Lebens zu einer gewissen Isolation. Er gelangte mit Bedauern zur Feststellung, dass es in ganz Europa keine wirkliche Linkspartei mehr gebe, und verlor den Glauben, mit seinen Texten unmittelbar etwas verändern zu können. Einem Journalisten gegenüber bezeichnete er seine Arbeit als «Verlustgeschäft» – eine Aussage, auf die sich bürgerliche Kommentatoren begierig stürzten – und deutete das eigene Werk, wie einst Adorno das seinige, als «Flaschenpost».

Letztere Metapher birgt freilich auch die festgehaltene Hoffnung in der Resignation angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse. Dem entspricht auch, dass sich Künzli bis zu seinem Tod in Schrift und Rede an politischen Debatten beteiligte. Nicht nur der Kreis seiner dankbaren Schülerinnen und Schüler nahm diese Wortmeldungen mit Interesse zur Kenntnis.