Gustav Teichmüller (1832-1888)
Gustav Teichmüller wurde am 19. November 1832 in Braunschweig geboren. Sein Vater war ein pensionierter Soldat, seine Mutter stammte aus einer Offiziersfamilie. Teichmüller studierte in Berlin und Tübingen. Er war ein Schüler des berühmten Philosophen Friedrich Adolf von Trendelenburg. Doch er beschränkte sich bei seinen Studien keineswegs auf Philosophie, sondern beschäftige sich mit bemerkenswert vielen akademischen Disziplinen, wo er von zahlreichen weiteren grossen Berühmtheiten seiner Zeit, etwa dem Historiker Leopold Ranke, unterrichtet wurde.
Nach Basel kam Teichmüller 1868 aus Göttingen, wo er zuletzt als ausserordentlicher Professor wirkte. In Basel wurde er als Nachfolger Wilhelm Diltheys mit der zweiten, nicht gesetzlichen Professur für Philosophie betraut. Wie Dilthey, so gehört auch Teichmüller zu einer Reihe aufstrebender junger Gelehrter, die nur wenige Jahre Philosophie in Basel lehrten. Teichmüller blieb immerhin zweieinhalb Jahre, bevor er 1871 an die deutschsprachige Universität Dorpat (heute Tartu) in Estland wechselte. In seinen Basler Jahren lehrte der junge Philosoph besonders auf den Gebieten der Ästhetik, Psychologie und Pädagogik, las aber auch zu anderen Themen. Die geringe Zahl von Studierenden in Basel wertete Teichmüller nicht nur als Nachteil für das eigene Schaffen. Er sah in diesem Umstand das Potential, einem zentralen Problem der Universitätslehre seiner Zeit, dem Mangel an Rücksicht auf die individuelle Aneignung des Vermittelten, entgegenzuwirken. Neben seiner Lehrtätigkeit machte sich Teichmüller in seiner kurzen Basler Zeit auch gleich in zwei organisatorischen Ämtern der Universität verdient: Er wirkte zunächst als Sekretär der Regenz, daraufhin als Dekan der philosophisch-historischen Abteilung der philosophischen Fakultät. Der Entscheid zum Weggang fiel besonders Teichmüllers Ehefrau Lina Cramer, aber auch ihm selbst schwer. Das Ehepaar schätzte nicht nur die klimatischen Vorzüge gegenüber dem neuen Wohnort im russischen Reich, sondern auch die politischen Verhältnisse Basels und die Sorge der Stadt um das Wohl der Universität. Schliesslich gaben aber die grosse Differenz des Gehalts und die Hoffnung auf eine stärkere Wirksamkeit an der viel grösseren russischen Universität den Ausschlag für den Wechsel. Zwar bemühte sich der Kurator Wilhelm Vischer sehr, den beliebten Philosophiedozenten zu halten, und bot ihm schliesslich ein Gehalt an, welches das bisherige Höchstgehalt für Basler Professoren überbot. Auch dieser Verdienst wäre aber für den Unterhalt einer Familie verhältnismässig bescheiden gewesen. Schweren Herzens entschied sich Teichmüller daher für die deutlich besser bezahlte Stelle in Dorpat. Das Leben in Dorpat brachte Teichmüller schwierige Umstände, da ihm fernab von anderen deutschsprachigen Universitäten keine Gespräche mit Fachkollegen möglich waren und er zwar viele, aber kaum facheigene Hörer hatte. Er hoffte auf eine Rückkehr nach Deutschland. Nach einigen Jahren in Dorpat erkrankte er allerdings an Magenkrebs. Er starb am 22. Mai 1888.
Ein Grossteil von Teichmüllers Werk besteht aus philosophiehistorischen Untersuchungen, insbesondere zur antiken Philosophie. Teichmüller verband mit diesen Untersuchungen allerdings nie rein historische Interessen. Vielmehr sah er in der Erkenntnis des Einflusses der historischen Entwürfe auf die gegenwärtige Philosophie die Grundlage für eigene Spekulation. So wandte er sich auf der Basis der historischen Studien in einer späten Schaffensphase der Ausarbeitung der eigenen Philosophie zu. Er propagierte darin einen neuen philosophischen Ansatz, der im Ausgang von der Scheidung von Bewusstsein und Erkenntnis sowohl den Positivismus als auch die nach Teichmüllers Diagnose mit leeren Abstraktionen operierenden materialistische und idealistische Systeme überwinden sollte. Die Entfaltung einer solchen Philosophie wurde durch den frühen Tod abgebrochen.
Teichmüllers Schriften fanden bei verschiedenen berühmten Zeitgenossen Beachtung. Interessierte Aufnahme fanden sie etwa bei seinem Freund Hermann Lotze, der auch Pate von Teichmüllers ältester Tochter war, und bei seinem Schüler und Nachfolger in Basel Rudolf Eucken. Seine Philosophie dürfte auch eine Quelle des Perspektivismus seines jüngeren Basler Kollegen Friedrich Nietzsche gewesen sein.
Neben den grösseren Werken entstanden auch verschiedene kleinere Schriften, die dem Teichmüllerschen Opus eine bunte Erscheinung verleihen. Bemerkenswerte Beispiele sind die in polemischer Absicht gegen den Neukantianismus als Text vom verstorbenen Kant ausgegebene Schrift Wahrheitsgetreuer Bericht über meine Reise in den Himmel sowie das in Dorpat erschienene Buch Über die Frauenemanzipation, in welchem Teichmüller schon 1877 für die Zulassung der Frauen zu sämtlichen Ausbildungen und Berufen, insbesondere den öffentlichen Ämtern, eintritt, und Stellungnahmen gegen eine Gleichberechtigung der Geschlechter entschieden kritisiert.