Paul Häberlin (1878-1960)
Paul Häberlin wurde als Sohn eines Primarlehrers am 17. Februar 1878 im thurgauischen Kässwil geboren. Häberlin studierte zunächst Theologie. Bereits im Studium war Basel nebst einsemestrigen Aufenthalten in Göttingen und Berlin eine Station Häberlins. Wichtige Basler Lehrer waren für ihn in dieser Zeit der Systematische Theologe Adolf Bolliger und der Philosoph Karl Joel. 1900 legte Häberlin das Konkordatsexamen ab und wurde ordiniert.
Nach der Ordination studierte er jedoch sogleich weiter. Bereits seit Beginn des Theologiestudiums hatte er sich mit Philosophie beschäftigt. Vor allem die Lektüre Kants hatte den jungen Studenten beeindruckt und verunsichert. Nun nutzte er ein letztes vom Vater zugestandenes Semester für eine Weiterführung seiner Philosophiestudien in Göttingen. Er wollte für seine Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen insbesondere naturwissenschaftliche und psychologische Kenntnisse hinzugewinnen. So studierte er in Göttingen unter anderem am Botanischen Insitut. Nach diesem Semester wurde Häberlin für anderthalb Jahren als Hauslehrer in Paderborn und Bremen tätig, und führte seine Studien auf eigene Faust nebenher weiter. 1902 kehrte er nach Basel zurück, wo 1903 die Promotion in Philosophie, Zoologie und Botanik erfolgte. Um ein Lehrerdiplom zu erhalten, bereitete er gleichzeitig Examen in Geographie, Mathematik und Pädagogik vor, die er zwei Monate nach der Promotion erfolgreich ablegte.
Nach Erlangen des Lehrerdiploms arbeitete Häberlin für kurze Zeit als Lehrer an der unteren Realschule in Basel, wurde aber bereits 1904 mit der Leitung des Lehrerseminars in Kreuzlingen betraut. 1908 begann Häberlin seine philosophische Lehrtätigkeit als Privatdozent in Basel. Um sich ganz auf die akademische Arbeit zu konzentrieren, trat Häberlin 1909 als Seminarleiter in Kreuzlingen zurück. 1914 erhielt er dann einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Philosophie in Bern. Der Lehrauftrag sah die Schwerpunkte Psychologie und Pädagogik vor.
Bereits 1918 sollte Häberlin nach dem Willen der Expertenkommision für die Berufung des neuen, zweiten gesetzlichen Ordinarius für Philosophie nach Basel zurückkehren. Häberlin erklärte auch seine grundsätzliche Bereitschaft. Im Erziehungsrat regte sich jedoch Widerstand: Man wandte ein, Häberlin sei zu religiös, zu abstrakt und habe als Pädagoge keinen Sinn für die Bedeutung körperlicher Ertüchtigung. Schliesslich wurde ein anderer Kandidat vorgezogen. Häberlin war nach dessen Verzicht angesichts des Geschehenen nicht mehr bereit, das Amt zu übernehmen. Als der schliesslich gewählte Otto Braun 1922 jedoch starb, bemühte man sich nochmals um Häberlin. Immer noch lehnte ein Teil des Erziehungsrates den Ruf ab, eine knappe Mehrheit stimmte ihm diesmal jedoch zu. Mit grossem finanziellem Entgegenkommen gelang es nun doch noch, Häberlin zur Rückkehr nach Basel zu bewegen. Er wurde zum Ordinarius für «Pädagogik und allgemein philosophische Disziplinen» ernannt. In diesem Amt blieb Häberlin bis zu seinem Rücktritt 1944.
Neben der Wahrnehmung des Ordinariats verfolgte Häberlin bis zu seiner Emeritierung noch verschiedene weitere Aktivitäten: 1930 übernahm er die Leitung des von ihm angeregten Anthropologischen Instituts der Stiftung Lucerna. Er führte diese Aufgabe auch nach seiner Demission an der Universität noch einige Jahre fort. 1935 wirkte er als Universitätsrektor. Einige Jahre darauf initiierte er die Schweizerische Philosophische Gesellschaft. Sie wurde 1940 gegründet.
In den 22 Jahren seines Basler Ordinariats verlieh Häberlin der philosophischen Lehre in Basel Kontinuität und entfaltete mit seinen Schriften weit über die Stadt hinaus grosse Wirkung. Von der Beachtung, die Häberlin auch im Ausland erfuhr, zeugt Wolfgang Stegmüllers einige Jahre nach Häberlins Emeritierung verfasstes Werk Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, wo Häberlins Denken trotz der ganz anderen Position des Autors ein Kapitel gewidmet wurde. In seinen Schriften befasste sich Häberlin kaum explizit mit historischen Philosophen, sondern widmete sich unmittelbar der Entwicklung seines eigenen Denkens. Sein «aprioristischer Seinsmonismus» (Stegmüller) verknüpfte Kantisches Denken, Naturphilosophie und Psychologie. Er sah sich bei der philosophischen Besinnung von denselben Interessen geleitet wie in der Theologie. Fluchtpunkt seiner Überlegungen war die Anthropologie.
Als apriorische «Urwahrheit» des Menschen bestimmte Häberlin das Sein des Subjekts. Er deutete den Menschen als ewige Seelenmonade, die verbunden mit einem Körper im beständigen Zwiespalt zwischen universeller geistiger Verbundenheit und Eigenwille lebt. Im grossen Ja zum Sein sah Häberlin die höchste Möglichkeit des Menschen.
Einen zentralen Schwerpunkt seiner Arbeit, den er bis zu seinem Rücktritt beibehielt, brachte bereits der Titel seiner Antrittsrede «Der Beruf der Psychologie» deutlich zum Ausdruck. Wie damals allgemein üblich, verband er die Pflege der Pädagogik mit derjenigen der Psychologie. Häberlin stärkte und profilierte die Bedeutung der Psychologie in Basel wesentlich. Er stand in Kontakt mit führenden Psychiatern, insbesondere mit seinem Freund Ludwig Binswanger. Auch mit C.G. Jung, den er aus der Studienzeit kannte, und Sigmund Freud, dessen Neffen er auf Bitte Freuds für anderthalb Jahre bei sich aufnahm, korrespondierte er. Auch nach seiner Emeritierung blieb Häberlin in Basel wohnhaft. Er starb am 29. September 1960.