Geschichte des Anatomischen Instituts (1960–2010)

Die prägende Figur der frühen Nachkriegszeit am Anatomischen Insitut in Baselwar Gerhrad Wolf-Heidegger. Die in den 1970er Jahren beginnenden Reformen führten zu einer Ausdifferenzierung des Fachs und der Etablierung neuer Forschungstechniken. Diese Ausdiffernzierung wurde an der Wende zum 21. Jahrhundert auch institutionell und räumlich spürbar: Aus dem Anatomischen Institut wurde ein Teil des Departements Klinisch-Biologische Wissenschaften mit Dependancen auf beiden Seiten des Rheins.

Wandlungen der 50er und 60er Jahre. Die Etablierung der morphologischen Wissenschaften
Als Nachfolger von Eugen Ludwig wurde 1955 Prof. Dr. Dr. Gerhard Wolf-Heidegger berufen, der bereits seit 1935 zunächst die Stelle eines Assistenten, später die eines Prosektors eingenommen hatte und 1949 zum persönlichen Ordinarius ernannt worden war. Wolf-Heidegger prägte das Institut für viele Jahre durch seine facettenreiche Persönlichkeit, die ebenso der Wissenschaft wie auch der Kunst verpflichtet war.  Er sah es als seine vornehmste Aufgabe an, bei seinen Mitarbeitern und auch bei den Studierenden die morphologische Wissenschaft als ein Mittel zur Ausbildung der individuellen Persönlichkeit einzusetzen. In diesem förderlichen Klima fanden zu dieser Zeit eine grosse Zahl von Wissenschaftlern die ihnen gemässe Atmosphäre und ebenso die Arbeitsmöglichkeiten, mit deren Hilfe sie ihren weiteren erfolgreichen beruflichen Lebensweg fortsetzten. Es gingen aus dem Anatomischen Institut hervor: R. Schenk (Bern), E. van der Zypen (Aachen/Bern), W. Lierse (Hamburg), H. G. Schwarzacher (Wien), H. Wartenberg (Bonn), H. Seguchi (Japan). Dauerhaft blieben dem Institut verbunden: A. von Hochstetter und Z. Dolinar.  K. S. Ludwig erhielt 1967 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Anatomie an der RWTH Aachen, dem er Folge leistete.

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs begründete Wolf-Heidegger, gemeinsam mit prominenten Kollegen die wissenschaftliche Zeitschrift Acta Anatomica (Karger, Basel). Diese bot den morphologischen Wissenschaften ein hoch geschätztes Forum für den Austausch von Forschungsergebnissen. 1954 erschien in 1. Auflage der «Atlas der Anatomie des Menschen» (Karger), dessen andauernde Wertschätzung sich an der grossen Zahl weiterer Auflagen erkennen lässt. Seine besondere Liebe allerdings wandte Wolf-Heidegger der Geschichte der Anatomie zu. Vor allem galt diese dem Wirken Andreas Vesals in Padua und Basel, wo zuletzt die weltberühmte «De humani corporis fabrica» 1543 erschien. Zudem sammelte er historische anatomische Abbildungen; aus dieser Kollektion entstand, zusammen mit Anna Maria Cetto, das umfangreiche Werk: «Die anatomische Sektion in bildlicher Darstellung» (Karger, 1967). Trotz ehrenvoller Berufungen nach Wien und Bonn blieb Wolf-Heidegger seiner Wahlheimat verbunden. Als Rektor und Dekan vertrat er die Anliegen der Medizinischen Fakultät und der Universität. 

Neuorientierung im Zuge der Studienreform der 1970er Jahre
Im Jahre 1973 wurde  Wolf-Heidegger wegen eines chronischen Leidens von seinen Lehrverpflichtungen entbunden. Im gleichen Jahr erging der Ruf an Prof. Dr. med. Kurt Siegfried  Ludwig/Aachen auf das Ordinariat für Normale Anatomie in Basel, um dort den Lehrbetrieb zu sichern und um eine Neuorganisation des Hauses vorzunehmen. Mit ihm zusammen kehrten auch Frau Dr. A. Kress, Dr. R. Baur und  Dr. U.M. Spornitz als Assistenten wieder an ihre alte Wirkungsstätte zurück, wo Dr. L. Landmann bereits eine Assistentenstelle innehatte. Trotzdem blieb die personelle Situation schwierig, da der Extraordinarius Prof. Dr. med. A. von Hochstetter sowie PD Dr. Z. Dolinar nur unter Schwierigkeiten in das neue Unterrichtssystem eingebunden werden konnten, das durch die zu dieser Zeit erfolgte Studienreform (Rossi-Plan) und die damit auf nur noch vier vorklinische Semester reduzierte Medizinerausbildung erforderlich war. Dennoch gelang es, den Unterricht den neuen Erfordernissen anzupassen und zu reformieren.

Zudem wurden bestehende Forschungseinrichtungen optimiert und andere neu geschaffen. Dies galt insbesondere für die Abteilung für Elektronenmikroskopie, die seit 1956 zunächst eine allgemeine Einrichtung des Zentrallabors der Universität gewesen war und nun in das Anatomische Institut integriert wurde. Diese Abteilung wurde anfangs noch gemeinsam mit  W. Villinger, später dann  von U.M. Spornitz allein geleitet. 1975 konnten erste Transmissionselektronenmikroskope  erworben werden, 1980 folgte dann ein Raster-Elektronenmikroskop und 1998 ein weiteres Transmissions-Elektronenmikroskop mit digitaler Bildspeicherung. Diese Abteilung stand mit ihren Einrichtungen allen wissenschaftlichen Mitarbeitern zur Verfügung.

Frau A. Kress wurde mit der Abteilung für Histologie betraut. Es bestand ein erheblicher Nachholbedarf an anatomisch-mikroskopischen Präparaten für die Histologiekurse; dazu mussten moderne Mikrotome und Kryostaten beschafft werden.

L. Landmann übernahm die Abteilung für Cytomorphologie. Diese Laborgruppe wurde im Lauf der Zeit mit aus Drittmitteln beschafften Grossgeräten ausgestattet, so mit einer Einrichtung für Gefrierätzung und schliesslich mit einem Konfokalen Laser-Scanning-Mikroskop.

Diese Neugliederung und die gleichzeitig erforderliche Straffung des Institutsbetriebs konnte allerdings erst dann zum Abschluss gebracht werden, nachdem der Extraordinarius A. von Hochstetter aus dem Hause ausgegliedert und diesem eine neue Abteilung für Klinische Anatomie im Klinikum übertragen worden war. Dort ergaben sich zahlreiche Querverbindungen und gemeinsame Fragestellungen zwischen der Chirurgie und der Topographischen Anatomie. Diese Abteilung wurde nach dem altersgemässen Rücktritt des Stelleninhabers aufgehoben.

Weitere in diesen Jahren durch den Rossi-Plan notwendige Umstellungen des Lehrbetriebs erforderten von K. S. Ludwig und seinen Mitarbeitern einen enormen Einsatz: so wurde der 1. Jahreskurs für Mediziner als eine integrierte Lehrveranstaltung konzipiert und durchgeführt, in der ausser der Zellbiologie, der allgemeinen Histologie und der Anatomie des Bewegungsapparates die Grundlagen der Fächer Genetik, Evolution des Menschen, Ökologie und vergleichende Morphologie von verschiedenen Fachvertretern vorgetragen wurden. Hieraus entwickelte sich eine nachbarschaftliche Kollegialität vor allem mit dem Biologen Prof. Dr. H. Durrer, der die Hauptverantwortung für diese Studienorganisation übertragen bekommen hatte. Weiterhin wurde das 1. Propädeutikum auf eine Multiple Choice-Prüfung, das 2. Propädeutikum auf eine kombinierte Multiple Choice und mündliche Prüfung umgestellt.

Zunehmend gehörten spezielle Anatomievorlesungen für Zahnmediziner, Pharmazeuten, Psychologen, Logopäden und Turnlehrer zum Aufgabenbereich der Dozierenden. Diese und weitere administrative Verpflichtungen haben die wissenschaftlichen Aktivitäten von Chef und Institutspersonal in einem hohen Mass behindert. Dennoch gelang es, noch unter der Leitung von K. S. Ludwig, zahlreiche Dissertationen zu betreuen und die Freiräume zu schaffen, so dass sich Frau F. Müller, Frau A. Kress und R. Baur habilitieren konnten. K.S. Ludwig war an embryologischen Fragestellungen interessiert, insbesondere an der vergleichenden Morphologie der Placenta; aus diesen Gebieten sind zahlreiche wissenschaftliche Artikel und Buchbeiträge hervorgegangen. Gegen Ende seiner Amtszeit wurde K. S. Ludwig zum Dekan der Medizinischen Fakultät gewählt. 

Weiterentwiclungen seit 1980
1981 wurde Prof. Dr. med. Dieter Sasse aus Freiburg/Br. nach Basel berufen und gleichzeitig mit K. S. Ludwig zu einem Vorsteher des Anatomischen Instituts mit alternierender Geschäftsführung bestellt Diese Regelung wurde bis zum Rücktritt von Ludwig (1987) beibehalten, danach blieb es bei nur einem Ordinariat für «Normale Anatomie».

D. Sasse erhielt aufgrund von Berufungszusagen bedeutende Mittel, um eine neue Abteilung für Histochemie zu etablieren. Zu dieser Arbeitsgruppe stiessen Frau Dr. M. Wimmer und IP. Maly (später promoviert) hinzu. Zu dieser Zeit konnte ebenfalls die Stelle eines Extraordinariats mit Frau Prof. Dr. med. B. Kaissling besetzt werden, für deren Forschungsgebiet eine Abteilung für Nierenmorphologie eingerichtet wurde.

Die auch durch die Besetzung von Assistentenstellen insgesamt verbesserte Personalsituation erlaubte die Neukonzeption des Präparierkurses, der jetzt in den Wintersemestern allen Studierenden die Arbeit am Präparat ermöglichte.

Auch die wissenschaftliche Produktivität verbesserte sich deutlich; in den nachfolgenden Jahren konnten sich L. Landmann, U.M. Spornitz, später Frau M. Wimmer, Frau A. Scotti und J. Fasel für das Fach Anatomie habilitieren. Die Schwerpunkte der damaligen Forschungstätigkeit betrafen vor allem die Ultrastruktur (Haut, Niere, weiblicher Genitaltrakt, ZNS) sowie die Histochemie. Das wissenschaftliche Hauptinteresse von D. Sasse galt der mikroquantitativen Histochemie der Leber, insbesondere der metabolischen Zonierung des Leberparenchyms. Aus diesem Arbeitsgebiet wurden, meist gemeinsam mir I.P. Maly, zahlreiche Ergebnisse publiziert. Gegen Ende seiner Amtszeit erschien, zusammen mit W. Graumann, das 4-bändige CompactLehrbuch Anatomie (Schattauer).

Nach der Berufung von Frau Kaissling auf eine Professur in Zürich wurden auf frei gegebene Extraordinariats- und Abteilungsleiterstellen berufen: Frau Prof. Dr. med. C. Nitsch (Neuroanatomie), Frau Prof. Dr. med. K. Spanel-Borowski (Zellzüchtung) und nach deren Berufung auf ein Ordinariat in Leipzig, Herr Prof. Dr. med. J. Kapfhammer (Neuroentwicklung). Weiterhin gelangte K. Beier als Assistenzprofessor an das Institut

Als eine Berufungszusage an D. Sasse war der teilweise Neubau des Instituts «baldmöglich» versprochen worden; dieses Bauvorhaben wurde allerdings erst ab 1994 in Angriff genommen. Der sogenannte Altbau wurde gründlich saniert; ein neugebauter Lehrtrakt enthielt ausser dem grossen Hörsaal einen modernen Präpariersaal sowie die Neugestaltung der Leichenkonservierung.

Das 21. Jahrhundert 
Das Anatomische Museum erhielt nach dem Umbau ebenfalls neue Räumlichkeiten, so dass die Sammlung unter modernen Gesichtspunkten präsentiert werden konnte. Dieses auch für die Öffentlichkeit zugängliche Museum, zusätzlich erweitert durch Sonderausstellungen unter der Leitung des Konservators Dr. med. h.c. H. Kurz, erwies sich weiterhin als ein höchst attraktiver Publikumsmagnet.

Das Anatomische Institut wurde 2000 im Rahmen der Umstrukturierung der Universität Basel zusammen mit allen anderen Fächern der Vorklinik sowie der Mikrobiologie und den Einrichtungen des bisherigen Departements Forschung in das Departement Klinisch-Biologische Wissenschaften (DKBW) überführt. Damit kamen weitere Abteilungen in das Gebäude des Anatomischen Instituts, so die Medizinische Biologie unter Leitung von Prof. Dr. Daniel Haag-Wackernagel und die Molekulare Neurobiologie unter Leitung von Prof. Dr. Uwe Otten.

Von den Mitgliedern des Anatomischen Instituts wurden zahlreiche Aufgaben in den Führungsgremien der Universität und der Fakultät wahrgenommen. So hatten zu verschiedenen Zeiten Einsitz in der Regenz A. Kress, D. Sasse und L. Landmann. In die Koordinationskommission wurde Frau A. Kress, zunächst als Mitglied, später als deren Vorsitzende gewählt. U. M. Spornitz war Mitglied der Planungskommission. Die Aufgaben eines Dekans der Medizinischen Fakultät übernahmen D. Sasse (1991/1992) und Frau A. Kress (1997/1998); letztere wurde anschliessend für die Jahre 1998 -2002 als Vizerektorin für Lehre und Weiterbildung gewählt.. Die neugeschaffene Position eines Fakultätsversammlungsleiters hatte 2007 und 2008 U.M. Spornitz inne.
Der Rücktritt von D. Sasse erfolgte im Herbst 2001.

Mit der Berufung von Prof. Dr. phil. II Rolf Zeller (geboren in Basel 1957) aus Utrecht im Juli 2003 wurde zum ersten Mal ein molekulargenetisch forschender Entwicklungsbiologe Vorsteher des Anatomischen Institutes. Während die entwicklungsbiologische Forschung in direkter Linie zu W. His und anderen steht, führte die Molekularbiologie dazu, dass die Arbeitsgruppe am neu geschaffenen Zentrum für Biomedizin im Kleinbasel domiziliert wurde, d.h., die Anatomie ist nun auf zwei Standorte verteilt. Im April 2007 wurde Frau Prof. Dr. med. Magdalena Müller-Gerbl aus München nach Basel berufen, um den gesamten Bereich der Funktionellen Makroanatomie in Forschung und Lehre in enger Zusammenarbeit mit den Kliniken neu und zukunftsweisend zu beleben. Zusammen mit der Schaffung von mehreren Universitätsdozenturen und zwei weiteren ausstehenden Neuberufungen wird der Fachbereich Anatomie und Embryologie grundlegend reorganisiert und scheint für die Herausforderungen innerhalb der europäischen Lehr- und Forschungslandschaft des sich entwickelnden 21. Jahrhunderts gut gerüstet.