Geschichte der Urologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die Urologie ein Teil der Chirurgie. Sie begann sich international als eigenständiges Gebiet um 1860 zu entwickeln. In Paris trat 1867 Félix Guyon die Nachfolge der chirurgischen Abteilung am Hôpital Necker an. Er begann in der Folge die Urologie zu strukturieren und zu entwickeln. Der erste Lehrstuhl für Urologie wird um 1890 in Paris gegründet. Von dort verbreiten sich die urologischen Techniken der Franzosen in die ganze Welt aus. In der Schweiz und an der Universität Basel sollte es noch einige Jahrzehnte dauern, bis die Urologie als eigenständiges Fach eingerichtet und etabliert wurde.
Urologie avant la lettre
Dennoch gab es bereits vorher Chirurgen mit internationaler Ausstrahlung, die sich auf urologische Eingriffe spezialisiert hatten. Einer der ersten war August Socin (1837–1899), der 1859 in Basel das Staatsexamen ablegte. Seine Weiterbildung erfolgte in Paris und ab 1859 arbeitete Socin am Bürgerspital Basel, dessen Leitung er drei Jahre später übernahm. 1862 wurde er zum ausserordentlichen Professor für theoretische (sic!) Chirurgie und zwei Jahre später zum Ordinarius für Chirurgie an der Universität Basel ernannt.
Die damals noch wenig entwickelte Chirurgie erlebte unter seiner Leitung einen Aufstieg. Laut Hauri war dies auch die Geburt der Urologie in der Schweiz. Die Zahl der operativen Eingriffe entwickelte sich enorm von 9 im Jahre 1858 auf 446 im Jahre 1897. Socins Hauptarbeitsgebiet waren die Krankheiten der Prostata, zu denen er ein berühmtes Werk verfasste (Die Verletzungen und Krankheiten der Prostata). 1888 gelang ihm weltweit als erster eine erfolgreiche Heminephrektomie bei einem Patienten mit Hufeisenniere. Er durchtrennte die Parenchymbrücke mit dem Thermokauter. Darüber hinaus war Socin Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Er verstarb am 22. Januar 1899 in Basel.
Mitarbeiter und Nachfolger von Socin, was die urologischen Interessen betraf, war Emil Burckhardt (1853–1905), der sich frühzeitig für die Urologie interessierte. In London erlernte er die Zystoskopie (Blasenspiegelung) und er verfasste 1893 einen Atlas der Zystoskopie. Er beendete das von Socin begonnene Buch über die Verletzungen und Krankheiten der Prostata und regte er an, die Urologie als eigenständiges Fach zu etablieren. Nach seinem Tod 1905 traten Fritz Suter und Heinrich Heusser die Nachfolge von Emil Burckhardt an.
Fritz Suter (1870–1961) stammte aus Basel, wo er 1895 das Staatsexamen ablegte. Von 1897 bis 1899 war er als Assistent bei Socin tätig. Obwohl auch er Chirurge war, interessierte er sich für urologische Eingriffe und führte offene Prostatektomien bei gutartiger Prostatavergrösserung nach Freyer durch. Er unternahm auch Versuche mit der endoskopischen Prostataoperation, verfolgte wegen unbefriedigender Resultate diese Technik aber nicht weiter. Suter habilitierte sich 1906, wurde 1917 zum Extraordinarius ernannt und erhielt einen Lehrauftrag für allgemeine Chirurgie. Er gehörte zu den Gründern der Deutschen und der Internationalen Gesellschaft für Urologie. Suter regte die Entwicklung einer eigenständigen Urologie an, ohne dass dies schon umgesetzt wurde. Fritz Suter war 1944 Gründungspräsident der Schweizerischen Gesellschaft für Urologie (SGU). 1947 organisierte er in St. Moritz den ersten Nachkriegskongress der Internationalen Gesellschaft für Urologie mit deutschen, französischen und englischen Urologen. Er war bis zu seinem 91. Lebensjahr operativ tätig und verstarb 1961.
Etablierung der Urologie in Basel
Heinrich Heusser (1894–1967) galt später als ‹eigentlicher Urologe› am Bürgerspital in Basel. Er wurde 1894 in Riehen geboren und studierte bis 1919 Medizin. Nach einer Assistenzarztzeit in der Pathologie wechselte er 1921 auf die chirurgische Klinik und wurde 1924 Sekundärarzt (Oberarzt). 1928 erfolgte die Habilitation unter Prof. Henschen. Er war bis 1931 als Chirurge im Bethesda Spital und in Breitenbach privat tätig. 1934 wurde er Oberarzt für Urologie, blieb aber als Allgemeinchirurge an der chirurgischen Klinik. 1939 erhielt er ein Extraordinariat. 1945 konnte Heusser als Chefarzt die neu gegründete zweite chirurgische Abteilung am Bürgerspital übernehmen. Er wandte sich in der Folge urologisch-nephrologischen Grundlagenproblemen zu und verfasste verschiedene Arbeiten zum Thema der Harnsteinerkrankungen, der Prostatahyperplasie und der Harnwegsentzündungen.
1951 erhielt er einen Lehrauftrag für Urologie. Offenbar wollte Prof. Nissen, damaliger Chef der Chirurgie, Heusser für ein Ordinariat in Urologie vorschlagen, allerdings unter der Voraussetzung, dass er auf die allgemeine Chirurgie verzichte. Heusser lehnte diesen Vorschlag ab, möglicherweise aus Furcht vor einer finanziellen Schlechterstellung. 1953/1954 war Heusser Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Urologie und präsidierte 1957/1958 auch die Schweizerische Gesellschaft für Chirurgie. 1955 gründete er zusammen mit G.P.A. Narath die heute noch renommierte urologische Fachzeitschrift Urologia internationalis. 1960 wurde Heusser wegen seiner Verdienste doch noch ein persönliches Ordinariat verliehen. 1965, während er seinem späteren Nachfolger Georg Rutishauser eine Magenresektion assistierte, erlitt er im Operationssaal einen cerebrovaskulären Insult (Schlaganfall) und war sofort halbseitengelähmt und aphasisch. Er erholte sich nicht mehr und verstarb am 13.02.1967.
Prof. Nissen übernahm, nachdem die infauste Prognose von Heusser feststand, die zweite chirurgische Abteilung der chirurgischen Universitätsklinik selber und beauftragte den 38 Jahre jungen Georg Rutishauser mit der Leitung der urologischen Station.
Integration der Urologie ins Depatement Chirurgie
Georg Rutishauser (geboren 14. Januar 1927) genoss eine gewisse fachliche Freiheit und konnte die Urologie weiterentwickeln. Nissen machte aber weiterhin Visiten, wenn es die Umstände verlangten und führte gelegentlich auch eine Prostatektomie durch. Zur Drainage platzierte er jeweils rechtwinklig gebogene Glaskanülen in die Blase und die Patienten erinnerten offenbar beim Verlassen des Operationssaals an ein Dampfschiff. 1967 ging die Ära Nissen zu Ende. Sein Nachfolger Martin Allgöwer (1917 – 2007) übernahm am 22. März 1967 die chirurgische Klinik. In seinem zukunftsweisenden Konzept des Departementes Chirurgie der Universität am Bürgerspital Basel wurde damals, neben anderen Kliniken, auch die Klinik für Urologie zur fachlich völlig selbstständigen Institution. Die Urologie war damit auch formal als eigenständiges Fach im Rahmen des Departementes Chirurgie etabliert.
Georg Rutishauser hatte sich 1963 habilitiert und konnte 1967 als gerade 40jähriger die Leitung der Klinik für Urologie übernehmen. Die Ernennung zum ausserordentlichen Professor erfolgte 1967. Die urologische Klinik blieb in das Departement Chirurgie integriert, auch als das Bürgerspital 1973 in Kantonsspital und 2004 in Universitätsspital umbenannt wurde. Rutishauser war der erste Inhaber des strukturellen Ordinariates für Urologie an der Universität Basel. Er prägte als starke und innovative Persönlichkeit die Urologie an der Universität Basel über 30 Jahre. Neben zahlreichen anderen Ämtern war er Sekretär und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Urologie und als einer der wenigen Schweizer auch Präsident der Südwestdeutschen Gesellschaft für Urologie. 1980 diente er der Universität Basel als Dekan. Er war im Editorial Board des Urologen A und von European Urology. Für mehr als eine Dekade war er Herausgeber des renommierten Journals Urological Research. Rutishauser ist Ehrenmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Urologie und der Deutschen Gesellschaft für Urologie. 1997 trat er 70jährig bei bester körperlicher und geistiger Frische in den Ruhestand.
Verlagerung des Ordinariats nach Liestal
Um der der zunehmenden Aufsplitterung des urologischen Krankengutes entgegen zu wirken, verbunden mit der Annäherung der beiden Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft wurde der Lehrstuhl für Urologie 1997 erstmals in der Geschichte der medizinischen Fakultät nach ‹auswärts› vergeben. Die beiden Kantone einigten sich darauf, das Ordinariat für Urologie der Universität Basel in das Kantonsspital Liestal zu verlagern. Es wurde dem damaligen Chefarzt der Klinik für Urologie am Kantonsspital Liestal, Berhard Leibundgut (1938–2005) übertragen.
Bernhard Leibundgut hat mit seiner konzilianten Art viel zur Überbrückung von Grabenkämpfen beigetragen. Er liess sich mit 62 vorzeitig pensionieren und verstarb 67 jährig. Nach seiner Emeritierung im Jahre 1999 wurde im Jahr 2000 das Ordinariat für Urologie Thomas Gasser (geb. 1957) übertragen. Im gleichen Jahr wurde zusätzlich ein strukturelles Extraordinariat geschaffen, welches Tullio Sulser (geb. 1956) bis zu seiner Wahl als Ordinarius für Urologie der Universität Zürich im Jahre 2006 innehatte.
Seither und bis zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels (April 2008) leitete Alexander Bachmann (geb. 1968), Privatdozent und Leitender Arzt, als Chefarzt ad Interim die Basler Klinik. Die Leitung der Gesamtklinik und das Ordinariat für Urologie hatte Thomas Gasser inne.
Rückblick und Ausblick
Die Urologie, die aus der Allgemeinchirurgie hervorgegangen ist, existiert als eigenständiges Fach erst seit etwas mehr als 60 Jahren. Sie hat sich als erstes Fach um das Endoskop herum entwickelt und dadurch auch abgegrenzt. Neben der offen chirurgischen Therapie gewann – bedingt durch die rasanten technischen Fortschritte in den 1960er und 1970er Jahren, ja bis heute – die endoskopische Diagnostik und Chirurgie rasch weiter an Bedeutung. Der Trend weg von offener, traumatisierender Chirurgie zu endoskopischer, laparoskopischer und sonstiger minimal-invasiver Therapien ist ungebrochen. Durch die Entwicklung besserer, beweglicherer und feinerer Endoskope und Optiken ist ein Ende dieser Entwicklung nicht abzusehen.
Über all die Jahre war die Urologie als eigenständiges Fach immer wieder bedroht, so etwa als die Entwicklung der Nierensteinzertrümmerer die Steinchirurgie und somit einen vermeintlich ‹vitalen› Teil der Urologie überflüssig machte. Oder als neue Medikamente oder Lasermethoden versprachen, die transurethrale Prostataoperation obsolet werden zu lassen. Aber die Urologie war stets – und ist es bis heute – ein innovatives Fach gewesen, dass immer bereit war, Etabliertes in Frage zu stellen und neue technische Entwicklungen rasch zum eigenen Vorteil zu nutzen.
Dem offenen und innovativen Gedankengut ist es zu verdanken, dass sich die Urologie als kompaktes und übersichtliches Spezialgebiet gehalten und weiter entwickelt hat. Immer wurden Veränderungen als Chancen be- und ergriffen. So ist die Steinbehandlung fest in urologischer Hand geblieben. Modernste technische Möglichkeiten wie die ultraflexiblen Harnleiter-Endoskope werden genauso selbstverständlich eingesetzt wie die neueste Lasertechnologie. Und in der Roboterchirurgie wirkte die Urologie als Pionier. Es bleibt zu hoffen, dass der innovative Geist, der die Urologie in den letzten 100 Jahren beseelt hat auch für die nächsten Generationen erhalten bleibt.