Die Orthopädie an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel

Die Orthopädie bzw. Orthopädische Chirurgie ist der Spezialbereich der Chirurgie, der sich mit der Diagnose und vorzugsweise operativen Behandlung von angeborenen Missbildungen, Erkrankungen und Verletzungen des Bewegungsapparates beschäftigt. Sie kümmert sich aber auch um die Rehabilitation ihrer Patienten mit Physiotherapie und orthopädischen Hilfsmitteln

Geschichte des Faches in Klinik und Lehre   
Die Orthopädie ist ein Kind der Aufklärung. Den Namen gab ihr Nicolas Andry mit seinem 1741 in Lyon erschienenen Buch «L’Orthopédie ou l’art de prévenir et de  corriger dans les enfants les difformités du corps». Das erste Orthopädische Institut der Welt wurde 1780 in Orbe im Kanton Waadt von Jean-André Venel gegründet. In Basel profilierte sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Carl Streckeisen mit der operativen Verlängerung der Achillessehne beim angeborenen Klumpfuss. 1899 habilitierte sich Karl Hübscher für «orthopädische Chirurgie und Mechanotherapie». In einer Privatklinik hatte er als Chirurg von grosser manueller Geschicklichkeit und technischem Verständnis grossen Zulauf und publizierte eine Monographie über den Fuss des Menschen und seine Deformitäten, blieb snrt als Einzelgänger abseits der chirurgischen Klinik. Die Fakultät sah von einer Beförderung zum ausserordentlichen Professor ab, «bis er von seiner Melancholie genesen sei».

Nach ihm und bevor es einen Orthopädischen Dienst in Basel gab, wurden Klumpfüsse und andere an sich klassisch-orthopädische Leiden wie die sogenannte angeborene Hüftluxation, Skoliosen usw. in der Kinderchirurgie (Prof. Hagenbach, Frau Dr. G. Nicole u.a.) behandelt, die im Studiengang vorgeschriebenen Orthopädievorlesungen aber durch einen Lehrauftrag an Hans Debrunner von der Züricher Fakultät abgedeckt.

Orthopädie am Kinderspital
Die Entscheidung, am Kinderspital einen orthopädischen Dienst einzurichten, fällte der damalige Chefarzt der Kinderchirurgischen Klinik, Prof. Robert Nicole, im Anschluss an die schwere Poliomyelitisepidemie des Jahres 1956. Die Organisation dieser der kinderchirurgischen Klinik am Kinderspital angeschlossenen Abteilung wurde im Herbst 1957 dem an der Orthopädischen Universitätsklinik Balgrist tätigen und an der Universität Zürich habilitierten Privatdozenten Willy Taillard anvertraut. Dieser «Service d’Orthopédie infantile» umfasste eine Poliklinik, eine Bettenstation, ein Ganglaboratorium, den Physiotherapiedienst am Kinderspital sowie die Schule und den Kindergarten des Kinderspitals, dem auch ein Behinderten-Transportdienst angeschlossen war. Damit wurde am Kinderspital schwerpunktmässig eine zentrale Behandlungsstelle mehrfach behinderter Kinder, vor allem solcher mit spastischen Lähmungen eingerichtet. Das inzwischen von Prof. Jürg Baumann weiter ausgebaute Ganglaboratorium musste Ende der Sechzigerjahre aus Platzgründen vom Kinderspital ins Areal des Felix Platter-Spitals verlegt werden.

Schaffung eines Lehrstuhls für Orthopädie
Einen Lehrstuhl für Orthopädie gibt es an der Basler Medizinischen Fakultät erst seit 1963. Die zuvor von der Eidgenössischen Medizinalprüfungskommission während eines Semesters vorgeschriebenen 2stündigen Orthopädie-Vorlesungen wurden von 1950 bis 1957 von dem in Zürich habilitierten a.o., später «ordentlichen Professor ad personam in Basel» Hans Debrunner gelesen. Debrunner fuhr jeweils an Donnerstagen von Zürich nach Basel, um am Vormittag die Orthopädie-Vorlesung und am Nachmittag zusammen mit dem in freier Praxis tätigen Dr. Eduard Burckhardt am damaligen Bürgerspital eine poliklinische Sprechstunde abzuhalten. Am späten Nachmittag wurden Professor Debrunner im Kinderspital dann meistens noch Kinder mit orthopädischen Leiden wie Klumpfüssen, angeborener Hüftluxation, Skoliosen, Perthes’scher Erkrankung der Hüfte, Lähmungsfolgen nach Poliomyelitis, spastischen Lähmungen usw. konsiliarisch vorgestellt. 1957 übernahm Privatdozent (ab Herbst 1961 a.o. Professor) Willy Taillard vom Kinderspital aus die Orthopädie-Vorlesungen bis er 1963 als Ordinarius und Chefarzt der Orthopädisch-Traumatologischen Universitätsklinik nach Genf berufen wurde.

Mit Amtsantritt auf den 1. April 1964 wurde Prof. Dr. George Chapchal, gebürtiger Holländer und Vorsteher der Orthopädischen Universitätsklinik Homburg/Saar als erster Lehrstuhlinhaber für Orthopädie nach Basel berufen. Gleichzeitig wurde nicht nur eine Orthopädische Klinik am damaligen Bürgerspital eröffnet, sondern der bis dahin in die Kinderchirurgische Klinik integrierte Orthopädische Dienst im Kinderspital wurde als Teil der spitalübergreifenden Orthopädischen Universitätsklinik auch zu einer eigenständigen Abteilung. Die bisher am alten Bürgerspital der 2. chirurgischen Klinik überlassenen Betten im ersten Stock des Merianflügels wurden der Orthopädie und der Traumatologischen Abteilung (Prof. H. Nigst) zugeteilt. Schon bald jedoch machte sich Platznot bemerkbar, sodass der Beschluss gefasst wurde, die Orthopädische Klinik zusammen mit der neugeschaffenen Rheumatologischen Klinik 1967 in das neu erbaute Felix Platter-Spital zu verlegen. Beabsichtigt war allerdings eine nur vorübergehende Verlegung der Orthopädie bis zur Fertigstellung der Renovation des während der Kriegsjahre erbauten Bürgerspitals. Das Provisorium dauerte dann aber 36 (!) Jahre. Erst im Jahr 2003 erfolgte die Rückkehr der Orthopädischen Klinik in den Westflügel des Kantons-, bzw. heute Universitätsspitals.

Der durch Privatdozent Dr. Maurice E. Müller - damals noch als Chefarzt der Orthopädischen Klinik am Kantonsspital St.Gallen tätig; Initiator und Mitbegründer der «Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO)» - ausgelöste Trend der operativen Knochenbruchbehandlung und der allgemeinen Entwicklung der Orthopädie zu einem betont chirurgischen Fachbereich drohte durch die Verlegung der Erwachsenenabteilung ins Felix Platter-Spital für die Basler Orthopädie unterbunden zu werden. Zum Glück für die weitere Entwicklung der Orthopädie zu einer Orthopädischen Chirurgie erkannte der als Nachfolger des chirurgischen Ordinarius Prof. Rudolf Nissen von Chur nach Basel berufene Prof. Martin Allgöwer die Zeichen der Zeit und offerierte Prof. Chapchal, an dem von ihm geschaffenen Chirurgischen Departement am damaligen Bürgerspital eine Orthopädisch-Traumatologische Abteilung zu führen.

Dieser Abteilung, zu deren erstem Leiter Privatdozent Erwin Morscher ernannt wurde, war die Aufgabe übertragen, mit der Allgemeinchirurgie zusammen die Versorgung von Unfallverletzten zu übernehmen und den orthopädischen Konsiliardienst am damaligen Bürgerspital sicherzustellen. Der Existenz dieser Abteilung und damit deren Integration in die Traumatologie machte es möglich, dass bei der 1976 offiziell und gesamtschweizerisch anerkannten Einbindung der Orthopädie in die Behandlung von Unfallopfern und deren offizielle Umbenennung in «Orthopädische Chirurgie» die neue Weiterbildungsordnung der FMH mit ihren Bedingungen problemlos umgesetzt werden konnte. Im gleichen Jahr 1976 wurde auf Initiative von Prof. M. Allgöwer, dem damaligen Präsidenten der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie, und von dem damaligen Sekretär und späteren Präsidenten der Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädie, dem Basler Orthopäden Hermann Fredenhagen, die «Union Schweizerischer Chirurgischer Fachgesellschaften» gegründet. Diese von Basel ausgehende und den anglo-sächsischen Gepflogenheiten entsprechende Entwicklung der Orthopädie hat den raschen, schon anfangs der Sechziger Jahre begonnenen Fortschritt des Faches zusätzlich beschleunigt. Die Orthopädische Chirurgie ist – weltweit – dasjenige Fach, das in den vergangenen 30 Jahren mit Abstand den stärksten Zuwachs an Ärzten und operativen Eingriffen vor allen anderen operativen Fächern zu verzeichnen hatte.

Mitte des Jahres 1970 erging an Prof. George Chapchal aus seiner Heimat, den Niederlanden, der Ruf zur Übernahme des Lehrstuhls für Orthopädie an der Katholischen Universität Njmegen, dem er bereits auf den 1. Oktober 1970 Folge leistete. PD Dr. Erwin Morscher, Leiter der Orthopädisch-Traumatologischen Abteilung am damaligen Bürgerspital, wurde beauftragt, die Orthopädische Universitätsklinik mit ihren drei Abteilungen am Kinder-, am Bürger- und am Felix Platter-Spital interimistisch zu führen.

Mit Amtsantritt auf den 1. Oktober 1971 wurde Morscher als Nachfolger von Chapchal vom Regierungsrat zum Lehrstuhlinhaber und Chefarzt der Orthopädischen Universitätsklinik gewählt. Gleichzeitig erfolgte die Integration der Orthopädie in das von Prof. Martin Allgöwer 4 Jahre zuvor geschaffene Departement für Chirurgie, welches sämtliche chirurgischen Fächer umfasste. Dieser Zusammenschluss aller chirurgischer Fachdisziplinen hat die in den folgenden Jahren auch standespolitisch erfolgte Integration der Orthopädie in die chirurgischen Fachgesellschaften als betont operativer Fachbereich – und damit auch die Namensänderung von Orthopädie in Orthopädische Chirurgie – vorweggenommen.

Die Orthopädie und Orthopädische Chirurgie der letzten 40 Jahre war vor allem durch eine sich rasant entwickelnde Subspezialisierung gekennzeichnet. Ein Schwerpunkt der Basler Orthopädie war von Anfang an die Kinderorthopädie, im speziellen die Hüftchirurgie (Hüftdysplasie, Epiphyseolysis capitis femoris) und die operative, instrumentelle Skoliosebehandlung. Im Gegensatz zu der in Europa sonst üblichen Einbindung der Kinder-Orthopädie in die Gesamt-, bzw. Erwachsenen-Orthopädie verblieb diese an ihrem angestammten Platz im Kinderspital und hat dort in ein ideal kindgerechtes Umfeld integriert ihre Stellung als «Center of Excellence» behaupten können. Hierzu wesentlich beigetragen haben die Leiter der Kinder-Orthopädischen Abteilung: Prof. Lutz Jani von 1971 bis zu seiner Berufung als Ordinarius nach Mannheim 1982, Prof. Walter Dick von 1982 bis 1988 und seit 1988 Prof. Fritz Heft. 1994 wurde die Kinder-Orthopädie am Kinderspital verselbständigt. Der bis dahin (unter dem nur Teilzeit am Kinderspital tätigen Vorsteher der Orthopädischen Universitätsklinik) amtierende Leitende Arzt, Prof. Fritz Hefti, wurde zum Chefarzt befördert. 2004 erfolgte dessen Ernennung zum ordentlichen Professor. Dem besonderen Interessengebiet von Prof. Hefti entsprechend wurde die Kinder-Orthopädie zusätzlich zu einer Referenzklinik für Knochen- und Weichteiltumoren.

Auch in der Erwachsenen-Orthopädie wurde die Wirbelsäulenchirurgie zu einem Schwerpunkt, wobei vor allem Eingriffe von ventral (transabdominal und transthorakal) i.d.R. im Team mit den Viszeral- und Thoraxchirurgen in zunehmendem Masse durchgeführt wurden. Neue Wege wurden durch die operative Versorgung mit hier entwickelten Implantaten und Methoden zunächst bei Para- und Tetraplegikern, dann allgemein beschritten (Fixateur interne von W. Dick, « Titanium Locking Screw Plate» von E. Morscher), deren Prinzipien heute weltweiter Standard bei allen Herstellern und Anwendern sind.
Die Erwachsenenabteilung am Felix Platter-Spital war anfangs der 70-er Jahre eine der ersten Kliniken im deutschsprachigen Raum, die die diagnostische Arthroskopie einführte (1971) und mit Dr. H.-R. Henche, später Titularprofessor und Chefarzt der Orthopädischen Abteilung in Badisch Rheinfelden, zu einer in höchstem Masse zuverlässigen Untersuchungsmethode vor allem bei Verletzungen des Kniegelenkes machte. Prof. A. Gächter hat die Methode weiter über die «Mini-Arthrotomie» zur therapeutischen Arthroskopie entwickelt und sich vor allem auch der Arthroskopie des Schultergelenkes gewidmet.

Als Leiter der Orthopädisch-Traumatologischen Abteilung von 1970 bis 1978 hat Dr. Werner Müller sich mit den Band- und Meniskusverletzungen des Kniegelenkes habilitiert. Nach eingehenden anatomischen und biomechanischen Studien ist er neue Wege in der operativen Behandlung von Knieverletzungen gegangen. 1978 wurde er zum Chefarzt der neueröffneten Orthopädischen Klinik am Bruderholzspital gewählt und hat diese zu einem Kompetenzzentrum für Knieverletzungen gemacht, was die Fakultät mit einem persönlichen Extrordinariat anerkannte.

Einen besonderen Schwerpunkt der Basler Orthopädie bildete seit anfangs der Siebziger Jahre die Endoprothetik des Hüftgelenkes. 1982 wurde das erste Symposium in Europa über zementfreie Endoprothetik in Basel durchgeführt. 1985 wurde der erste zementfreie Press-Fit Cup eingeführt. Ende der 80-er Jahre erfolgte die Entwicklung des zementierten MS-30 Schaftes (Morscher-Spotorno), der sich ebenfalls das Fixationsprinzip des Press-fits zu eigen machte.

24 Jahre hatte Prof. Erwin Morscher Ordinariat und Klinikleitung inne; auf den 30. Juni 1995 wurde er emeritiert. Als seinen Nachfolger wählte der Regierungsrat auf Vorschlag der Medizinischen Fakultät seinen Stellvertreter und langjährigen Mitarbeiter, Prof. Walter Dick, zum nächsten Ordinarius, dem bald die bauliche und organisatorische Rückführung der Klinik aus dem Felix Platter-Spital in das Kantonsspital (2003 nach 36 Jahren Provisorium) und die Integration der dort etablierten und sehr selbständigen Orthopädisch-traumatologischen Abteilung oblag. Zwei Jahre später konnte dann im Konsens mit der Allgemeinchirurgischen Klinik unter Prof. Daniel Oertli die Orthopädie mit der chirurgisch-traumatologischen Abteilung (Leiter: a.o. Prof. Pietro Regazzoni) und der Handchirurgie (Leiter: Titularprof. Hans Troeger) aus der Klinik für Wiederherstellungschirurgie zu einem «Behandlungszentrum Bewegungsapparat» zusammengeführt werden, sodass durch seine drei Teams für die «Obere Extremität», die «Untere Extremität» und die «Wirbelsäule» sämtliche Operationen am Bewegungsapparat übernommen und die zeitgemässen Organspezialisierungen vorangetrieben werden können.

Auf Initiative von W. Dick entstand auch das virtuelle, aber sehr erfolgreiche «Zentrum Orthopädie beider Basel ZOBB», in dem die habilitierten Chefärzte der basellandschaftlichen und baselstädtischen orthopädischen Kliniken sich gegenseitig in den im Konsens verteilten jeweiligen Spezialgebieten unterstützen und ein gemeinsames strukturiertes Facharzt-Weiterbildungsprogramm sowie Mitarbeiter-Austauschprogramm umgesetzt haben.
Prof. Walter Dick wurde auf den 31.12.2008 emeritiert.

Forschung
Forschung an der Orthopädischen Klinik wurde routinemässig zur Hauptsache als klinische Forschung im Sinne von Qualitätskontrolle (Follow-up-Studien) durchgeführt. Experimentelle Arbeiten zur Entwicklung von Instrumenten, Osteosynthesematerial, Endoprothesen usw. wurden mit der Pharmazeutischen und der Medizinal-Technischen Industrie , der «Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen – AO» und universitären Instituten (z.B. Institut für experimen-telle Physik) durchgeführt. Im Gedenken an seine 1989 verstorbene Frau Hardy und aus Dankbarkeit für den ihm 1988 von der Universität Basel für seine Pionierleistungen bei der Entwicklung der sogenannten «Sulzer-Gelenke» verliehenen Ehrendoktor hat Otto Frey-Zünd an der Universität Basel eine Stiftung zur Förderung orthopädischer Biomechanik errichtet. Hauptzweck seiner Stiftung war die Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Kunstgelenke und eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Universität. 1990 wurde mit den Mitteln dieser Stiftung das «Laboratorium für Orthopädische Biomechanik – LOB» eröffnet.