Interdisziplinäre Kooperationen und Forschung
Interdisziplinäre Kooperation
Auf verschiedenen Ebenen wurden ab Mitte der 1990er-Jahre interdisziplinäre Strukturen und Angebote entwickelt, bei welchen MitarbeiterInnen des Kinderspitals gemeinsam mit MitarbeiterInnen der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik auftreten.
Der Einrichtung einer interdisziplinären und interinstitutionellen Kinderschutzgruppe im Kinderspital - anfangs «Mißhandlungsteam» genannt - gingen zahlreiche schmerzliche Erfahrungen voraus. In den Jahresberichten findet diese Arbeit erstmals 1988/89 Erwähnung. Heute ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie unabdingbar in der interinstitutionellen Zusammenarbeit mit dem Kinderspital in Kindesschutzfragen. Wesentliche Funktion der Kinderschutzgruppe, die stets in jenen Fällen tagt, wenn ein Verdacht auf Vernachlässigung, Mißbrauch oder Mißhandlung besteht, sind neben der Beratung der jeweiligen Behandlungsequipe auch die Vorbereitung von Entscheidungen für eventuell notwendige Kinderschutzmaßnahmen.
Im Rahmen der interdisziplinären »Schreisprechstunde» bzw. »Sprechstunde für Säuglinge mit Schrei-, Schlaf- und Fütterstörungen», wurde Ende 1998 eine Tradition der Basler Kinderpsychiatrie wiederbelebt, die über mehrere Jahre von 1976 bis 1982 in einer «Prophylaxestelle» - seinerzeit als Angebot für Institutionen - gelegt worden war (s. o.). Heute wie damals ist in diesem Rahmen ein multiprofessionelles Team aus MitarbeiterInnen des Kinderspitals und der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit der Abklärung, Beratung und Betreuung von Familien mit Säuglingen und Kleinkindern (Durchschnittsalter über die Jahre hinweg ca. 12 Monate) mit Schrei-, Schlaf- und Fütterstörungen / Regulationsstörungen befasst. Das Team besteht aus ärztlichen, psychologischen und pflegerischen MitarbeiterInnen, bei Bedarf auch mit Einbezug eines Sozialarbeiters. Vielfach erfolgten und erfolgen Anmeldungen akut, da sich die Eltern mit der Problematik ihres Kindes zumeist in großer Not und einer schweren Überforderungssituation befinden. Dabei stehen die kinderpsychiatrische Abklärung und die Eltern-Kind-Diagnostik aus kinderpsychiatrischer Sicht im Zentrum. Die pädiatrische Arbeit besteht in einer umfassenden pädiatrisch-neuropädiatrischen Abklärung. In Abhängigkeit von den Ergebnissen dieser Abklärungen erfolgen dann Beratung und / oder Behandlung der betroffenen, oft durch die Störung ihres Kindes an den Rand der Kräfte geratenen Familien, beispielsweise durch videogestützte Interaktionsanleitungen und psychodynamische Kurztherapien.
Die Sprechstunde fand schon bald nach ihrer Gründung in der Presse und im Bereich klinisch-wissenschaftlicher Kreise weit über die Grenzen Basels hinaus großes Interesse, an zahlreichen Kongressen wurde das Konzept auch vorgestellt.
Auch die Mitarbeit der Kinder- und Jugendpsychiatrie im vom Kinderspital initiierten Projekt MOMO zur Betreuung HIV-infizierter und AIDS-kranker Kinder und Jugendlicher bzw. von Kindern und Jugendlichen, bei welchen ein Familienmitglied von HIV/AIDS betroffen ist, Ende der 1990e-Jahre soll erwähnt sein, zumal diese - nach einem längeren Moratorium - nach aktuellen Planungen einer «Wiedergeburt» entgegensieht.
Die Forschung fasst Fuß
Nachdem die klinischen Strukturen weitgehend und verläßlich etabliert waren, konnten sich Bürgin und seine Mitarbeiter ab Anfang der 1980er-Jahre zunehmend auch der Herausforderung der kinder- und jugendpsychiatrischen Forschung zuwenden. Bis dahin war die Forschungstätigkeit wegen der vielfältigen klinischen Aufgaben deutlich reduziert gewesen, nun aber gelang es, Energie und Ressourcen auch für diesen Bereich zur Verfügung zu stellen. Durch Gelder aus dem Nationalfonds konnte 1984/85 ein grösseres Forschungsvorhaben realisiert werden, auch konnte nun eine kleine Forschungsabteilung aufgebaut werden, wenngleich zunächst noch ohne eigene Forschungsstellen.
Mitte der 1990er-Jahre waren die Forschungsschwerpunkte die Eltern-Kind-Beziehungs- und Familienentwicklung, der Ausdruckgehalt von Kinderzeichnungen, die Psychosomatik sowie die Psychoonkologie. Das Projekt «Frühe Kindesentwicklung und Familienbeziehungen» (Bürgin, von Klitzing, Simoni, Amsler) wurde Mitte der 1990er-Jahre vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert. In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre differenzierte sich das Forschungsspektrum deutlich aus, unter anderem wurden nun neben der genannten Forschungsrichtung auch Schwerpunkte im Bereich Anorexia und Bulimia nervosa und der Psychoonkologie ausgebaut, außerdem arbeitete ein Team an einem Befindlichkeitsstern (Entwicklung eines Instruments zur Qualitätsförderung in der stationären psychiatrischen Behandlung), ein weiteres Team an den psychosozialen Auswirkungen bei Kindern und Jugendlichen von an Multipler Sklerose erkrankten Eltern und eine Mitarbeiterin an der Entwicklung von Kindern und Familien unter erschwerten psychosozialen Startbedingungen. 1998 wurde ein neues NF-Projekt über den Einfluß elterlicher Psychopathologie und Beziehungsstörungen auf die frühe Entwicklung von Kindern und Familien (Bürgin, von Klitzing, Simoni, Schwendke) auf den Weg gebracht.
Ende der 1990er-Jahre setzte die KJUP eine internationale Verbundstudie über Psychosen im Kindesalter in Gang. Außerdem wurde im psychoonkologischen Bereich 1999 eine prospektive Verbundstudie mit drei österreichischen Universitätskliniken zur Überprüfung der Lebensqualität von Kindern während Stammzelltransplantationen initiiert.
1999 wurde ein neues strukturelles Extraordinariat geschaffen, auf das Kai von Klitzing berufen wurde. Dieser wirkte bis 2006 in Basel und folgte zum 1.9.2006 einem Ruf auf den Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Leipzig. Das Extraordinariat ist inzwischen zur Wiederbesetzung ausgeschrieben.
Die Schwerpunkte der Forschungstätigkeit bilden heute Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter, aggressive Verhaltensstörungen (Entstehungsbedingungen und Behandlungsmöglichkeiten), Entwicklung und Beeinflussungsmöglichkeiten von delinquentem Verhalten im Kindes- und Jugendalter sowie die Kleinkind- und Beziehungsforschung. Auch im Bereich der Behandlungsmöglichkeiten von autistischen Störungen, Psychotherapie- und Versorgungsforschung (Entwicklung und Überprüfung von psychotherapeutischen Konzepten im Kindes- und Jugendalter) und der Entwicklung von psychodiagnostischen Messinstrumenten sind Forschungsaktivitäten geplant.
Eng mit dem Bereich der Forschung assoziiert ist der Bereich Qualitätssicherung. Er wurde mit Beginn des neuen Jahrtausends gesondert ausgewiesen und hat sich seither einen festen Platz im Spektrum der Tätigkeit der KJUP bzw. KJPK gesichert. Mit Etablierung eines Bereichs Qualitätssicherung strebte die KJUP an, über die herkömmlichen Ansätze von Qualitätssicherung (wie z. B. Supervision, Katamnesen etc.) hinauszugehen und verschiedene Instrumente (z. B. Patientenzufriedenheits-Fragebogen, Fragebogen zu psychopathologischen Symptomen) zu implementieren, mit welchen die Ergebnis-Qualität der Arbeit insbesondere auf den stationären Abteilungen gemessen werden soll. Dieser Schritt wurde nicht zuletzt auch bedingt durch den Rahmenvertrag der H+/HSK zwischen den Spitälern der Schweiz (H+) und dem Konkordat der Schweizerischen Krankenversicherer.
Über die Grenzen - zentrale Repräsentanten der Basler Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die Basler Kinder- und Jugendpsychiatrie hat - repräsentiert durch eine Reihe namhafter Vertreter - auch über den Basler Horizont hinaus gewirkt.
In den über 60 Jahren ihres Bestehens konnten sich in Basel eine Kinder- und Jugendpsychiaterin und vier Kinder- und Jugendpsychiater habilitieren: Dieter Bürgin (1978), Peter Riedesser (1989) , Kai von Klitzing (1996/97), Barbara Steck (2000) und zuletzt Alain di Gallo (2004).
Ausgehend von Basel wurden zwei Lehrstühle besetzt: Riedesser übernahm 1991 den Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamburg, von Klitzing im Jahr 2006 den Lehrstuhl in Leipzig.
Weitere sechs Chefarztpositionen wurden im Laufe der Jahre durch ehemalige Mitarbeiter der KJUP / KJPK besetzt: Kai-Uwe Nöhring übernahm 1978 die Leitung der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Kinderkrankenhaus Wilhelmstift Hamburg. 1983 gründete Hans-Rudolf Müller-Nienstedt von Basel ausgehend den «Kinderpsychiatrischen Dienst der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen», später KJPD Thurgau. Emanuel Isler wurde 1985 Chefarzt des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes Basel-Landschaft, im selben Jahr übernahm Christian Begemann den KJPD Schaffhausen. Seit 1991 leitet Thomas Heinimann den KJPD Luzern. Zuletzt übernahm Heiner Meng im Jahr 2006 die Leitung des KJPD Aargau.
In den Jahren 1979-1983 unterstützte die Basler Kinder- und Jugendpsychiatrie außerdem den Aufbau eines kinder- und jugendpsychiatrischen Dienstes im Kanton Jura. Dieser wurde - unter Leitung von Fr. Dr. Ryf - Anfang der 1980er-Jahre der Basler Klinik «fachlich angegliedert» und konnte sich bereits 1983 fachlich verselbständigen.