Liaisonpsychiatrie - die Kinder- und Jugendpsychiatrie orientiert sich nach außen
Die Liaisonpsychiatrie, die aktuell in bemerkenswertem Umfang ausgeweitet wird, bildet seit Jahren einen der zentralen Entwicklungspfeiler der Basler Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Schon in den 1950er-Jahren finden wir erste liaisonpsychiatrische Modelle. Im Beobachtungsheim Sunnehüsli im Bürgerlichen Waisenhaus, unweit vom Kinderspital, betrieb Frau Dr. Bloch in den 50er-Jahren eine Beobachtungsstation, die im Jahr 1955 von der Poliklinik unter Haffter übernommen wurde. Ein Assistenzarzt versah dort nun unter Haffters Führung halbtägig den Dienst im stationären Setting. Noch vor Entstehung der stationären Einheiten hatte die Kinder- und Jugendpsychiatrie dort also eine Behandlungsverantwortung für «stationäre» Patientinnen und Patienten. Im November 1961 mußte das bis dahin erfolgreiche Sunnehüsli jedoch aus Personalmangel geschlossen werden. Frau Dr. Bloch arbeitete auf ehrenamtlicher Basis im Waisenhaus weiter.
Daß ausgerechnet im Sunnehüsli fast ein halbes Jahrhundert später, 2008, mit der Diagnostisch-therapeutischen Tagesklink eine Einheit der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik Raum finden sollte (s. o.), zeigt den oft zyklischen Charakter von Geschichte.
Die Arbeit im Sunnehüsli kann zweifelsohne als ein Vorläufer-Modell der Liaison-Psychiatrie betrachtet werden. Doch schon zuvor, Ende der 1940er-Jahre, war der kinder- und jugendpsychiatrische Dienst der Poliklinik in vermehrtem Ausmaß von Heimen und Institutionen konsiliarisch zu Beratungen und Behandlungen zugezogen. Dies führte dazu, daß bereits Ende der 1940er-Jahre jeweils ein Halbtag pro Woche für Heimbesuche verwendet wurde. Mitte der 1950er-Jahre wurde die kinderpsychiatrische Poliklinik zu regelmässigen Konsultationen und Besuchen in zwei Kinderheimen des Basler Frauenvereins hinzugezogen, außerdem wurden gesamthaft drei Erziehungsheime psychiatrisch betreut.
Zu einer ersten strukturellen kinderpsychiatrischen Liaisonzusammenarbeit kam es Mitte der 1950er-Jahre mit dem Landheim Erlenhof in Reinach, Basel-Land. Bereits Anfang der 1950er-Jahre war das Landheim Erlenhof wie oben dargestellt jeweils einen Halbtag durch einen Arzt durch Untersuchung und Behandlung von Jugendlichen unterstützt worden. Ausgehend von diesen Erfahrungen wurde im April 1956 im Erlenhof ein pädagogisch-psychiatrisches Beobachtungsheim für 20 männliche Jugendliche aufgebaut. Ein Assistenzarzt war dort nun halbtags beschäftigt. Dieses Modell hatte über viele Jahre konstruktiv Bestand. In den 1970er-Jahren ergaben sich offenbar trotz aller Bemühungen auf beiden Seiten erste Schwierigkeiten in der interdisziplinären Auseinandersetzung zwischen Pädagogik und psychiatrischer Psychotherapie. Die Zielvorstellungen und Konzepte schienen letztlich doch zu unterschiedlich, und Kompetenzen und gegenseitige Erwartungen waren offenbar nicht transparent genug. Die Jahresberichte der PUPKJ aus den 1970er-Jahren zeugen von anhaltenden Auseinandersetzungen und der mühsamen Suche nach einem gemeinsamen Weg. Erst Anfang der 1980er-Jahre schien die schwierige Situation überwunden und der Dialog zwischen den Disziplinen konstruktiv etabliert. 1985 wurde aufgrund interner struktureller Veränderungen (Schliessung der Beobachtungsstation) die Liaisontätigkeit in ihrem Umfang zunächst reduziert, 1986 bei einem veränderten Konzept (mehr individuelle Betreuung von Jugendlichen einer anderen Erziehungsabteilung des Erlenhofs) kurzzeitig auf ein 75%-Pensum angehoben. Doch Ende der 1980er-Jahre wurde die letzte Phase der Liaisonzusammenarbeit zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Erlenhof eingeläutet: Stark unterschiedliche Vorstellungen über die Art der Kooperation und die Einführung neuer Strukturen durch die Heimleitung führten 1990 zum definitiven Ende der Liaison-Zusammenarbeit.
Ein Grundstein für die fest verankerte kinderpsychiatrische Liaisontätigkeit war aber längst gelegt: In den 1970er- und 1980er-Jahren baute in der Stadt ein heute als «Verein pädagogisch-therapeutischer Institutionen für weibliche Jugendliche Basel» firmierender Träger eine Reihe von pädagogischen Institutionen für adoleszente Mädchen auf, darunter zum Jahresbeginn 1976 das Foyer Neubad, 1980 das Foyer Rütimeyerstrasse, 1985 das Foyer in den Ziegelhöfen und 2003 das Interkulturelle Foyer Bildung und Beruf.
Mit Unterstützung durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde das Foyer Neubad als zunächst - je nach Indikation - schliessbare Beobachtungsstation für sozial gefährdete weibliche Jugendliche aufgebaut. Schon im ersten Jahr wurden dort 23 Mädchen aufgenommen. Die Möglichkeiten einer fruchtbaren Beziehung zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Pädagogik waren nicht zu übersehen. Beispielsweise wurde schon im zweiten Jahr eine stationäre, offene Gruppenpsychotherapie etabliert, die sich zwar als «heikel» erwies, «aber einen deutlich spannungsvermindernden Effekt nach sich zog» . 1988/89 wurde das Foyer ganz geöffnet, und die Betreuungskonzepte wurden angepaßt - beides wichtige Veränderungen, die durch die Liaisonpsychiater begleitet und unterstützt wurden. Noch heute wird das Foyer Neubad liaisonpsychiatrisch durch die KJPK betreut durch einen Assistenzarzt und eine Psychologin, beide in Teilzeitbeschäftigung.
Auch im 1980 eröffneten Foyer Rütimeyerstrasse, einer pädagogisch betreuten Wohngruppe für Mädchen, engagierte sich die PUPKJ / KJUP in Form psychologischer Betreuung der Mädchen. Anfang der 1990er-Jahre reduzierte sich diese Mitarbeit auf Kriseninterventionen und auf Supervisionen.
Das 1985 eröffnete Foyer in den Ziegelhöfen, geschaffen als Durchgangsstation für Mädchen mit einer geschlossenen Abteilung, wurde anfangs ebenfalls durch die Kinder- und Jugendpsychiatrische Poliklinik mitbetreut. Das klar andere Konzept einer Durchgangsstation (im Vergleich zu einer Beobachtungsstation) verlangte von den Liaisonpsychiatern ein anderes Vorgehen, insbesondere in Notfallsituationen. Letztlich machte dieser Unterschied zwischen Beobachtungsstation und Durchgangsstation wiederholt Anpassungen der Zusammenarbeit erforderlich. Zum Jahresende 1988 wurde auf Wunsch der Heimleitung beschlossen, daß die Institution ab 1989 ohne fest zugeteilten Psychiater arbeitet, gleichwohl aber zunächst noch Supervisionsstunden in Anspruch nimmt. Heute wird die Institution durch eine niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiaterin betreut.
Im August 1976 konnte, nach intensiver Vorarbeit durch PD Dr. Kobi und Fr. Dr. h.c. M. Schulthess ein Team für Prophylaxe im Säuglings- und Kleinkindesalter als ein freiwilliges Beratungs- und Kooperationsangebot für Kinderkrippen und Heime zusammengestellt werden. Dieses Team betreute liaisonpsychiatrisch beratend bis zu sieben Heime und führte etliche Kurse durch, um das Personal von Krippen und Kleinkinderheimen im Umgang mit Kindern zu unterstützen. Das erfolgreiche Konzept fiel allerdings im März 1982 - für alle völlig überraschend - Sparmassnahmen des Regierungsrats zum Opfer.
Es fand aber später seinen Niederschlag in einer besonderen Forschungsrichtung der Klinik unter Bürgin / von Klitzing und in der Etablierung besonderer Angebote für Familien mit Säuglingen und Kleinkindern mit Schrei-, Schlaf-, Regulations- und Fütterstörungen (s. u.).
All diese wirksamen Vorläufer der kinder- und jugendpsychiatrischen Liaisondienste legten den Grundstein für eine neue Entwicklung, die nun im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends mit beeindruckender Geschwindigkeit Fahrt aufgenommen hat:
Im Jahr 2005 weitete die KJUP ihre liaisonpsychiatrische Arbeit in der Stadt Basel entscheidend aus - es kam zur Zusammenarbeit mit der bereits 1969/70 gegründeten und dem Erziehungsdepartement unterstehenden Psychotherapiestation für Kinder und Jugendliche (PTS), einem kantonalen Schulheim für bis zu 12 verhaltensauffällige und psychisch kranke Kinder und Jugendliche. Dort wurde eine vom Erziehungsdepartement finanzierte 70%-Oberarzt-Stelle geschaffen. Der dort beschäftige Oberarzt ist zugleich Mitarbeiter der KJPK wie auch festes Mitglied des interdisziplinären Teams aus Lehrern, Sozialpädagogen und Therapeuten der PTS. Durch diese Zusammenarbeit änderte sich auch der Charakter der Psychotherapiestation entscheidend - zunehmend wurde und wird die Station heute als eine Art Rehabilitationseinheit für die langfristige sozialpädagogische, schulische und psychiatrisch-therapeutische Betreuung der Patientinnen und Patienten der KJPK verwendet.
Dieser schon nach kurzer Zeit erfolgreiche Schritt läutete eine neue Ära ein. Neu kamen im Jahr 2007 Liaisonverträge hinzu mit dem von der Bürgergemeinde Basel geführten Bürgerlichen Waisenhaus und dem Aufnahmeheim Basel, einem stationären Abklärungs-, Betreuungs- und Behandlungsangebot für männliche Jugendliche mit dissozialen Störungen. 2008 folgte eine Liaisonvereinbarung mit dem kantonalen Sonderschulheim «Zur Hoffnung», einer Einrichtung zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Retardierung. In den genannten Institutionen sind oberärztliche MitarbeiterInnen in teilzeitigem Umfang mit der liaisonpsychiatrischen Beratung und Betreuung der Teams und mit Abklärung und Behandlung einzelner Kinder und Jugendlicher befaßt.
Liaisonpsychiatrie im Kinderspital - eine unverzichtbare Verbindung
Von jeher war die Basler Kinder- und Jugendpsychiatrie eng mit dem Kinderspital, später UKBB, verbunden. Neben den bereits dargestellten stationären Angeboten und den kinder- und jugendpsychiatrischen Konsilien bildete und bildet die liaisonpsychiatrische Zusammenarbeit ein wesentliches Standbein der Beziehungen zwischen beiden Kliniken.
Ende der 1980er-Jahre wurde in diesem Sinn die psychoonkologische Arbeit der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Kinderspital etabliert. Die psychoonkologische Begleitung krebskranker Kinder und Jugendlicher und ihrer Familien im Sinne einer besseren psychischen Krankheitsverarbeitung war zunächst noch wenig institutionalisiert, konnte aber ab 1996 durch eine weitgehend aus Drittmitteln finanzierte 100%ige Oberarztstelle, ab 2004 durch einen 40%-Oberarzt und eine 50%-Psychologin, aktuell nun durch eine 80%-Psychologin mit oberärztlicher fachlicher Unterstützung sichergestellt werden. Im Rahmen der psychoonkologischen Liaisonarbeit wurden und werden kranke Kinder und ihre Familien - oft über lange Zeit hinweg - therapeutisch betreut, es werden in Vorbereitung bestimmter therapeutischer Maßnahmen (z. B. Knochenmarkstransplantation) diagnostische Abklärungen durchgeführt, in Krisensituationen werden problemzentrierte Interventionen ermöglicht, außerdem finden regelmäßige interdisziplinäre Besprechungen statt.
Auch auf der Abteilung Neonatologie des UKBB entstand Ende der 1990er, Anfang der 2000er-Jahre eine Liaisonzusammenarbeit. Mit Eröffnung der neu eingerichteten neonatologischen Intensivpflegestation im Frauenspital wurde diese Arbeit 2002 nochmals intensiviert. Der oftmals Wochen bis Monate dauernde Aufenthalt dieser Kinder hatte in der Regel zu einem intensiven Kontakt des Pflegeteams mit den Eltern geführt, in dessen Rahmen sich viele Belastungen und Konflikte ergeben hatten. Umso mehr wurde die Einrichtung eines liaisonpsychiatrischen Dienstes der Kinder- und Jugendpsychiatrie von Seiten des Pflege- und Ärzteteams, aber auch von den betroffenen Eltern begrüßt. Hier geht es um die frühzeitige kinderpsychiatrische Betreuung der Eltern von Neu- und Frühgeborenen, die wegen gravierender Schwierigkeiten hospitalisiert werden müssen, um die Begleitung der frühen Eltern-Kind-Beziehung unter schwierigen Rahmenbedingungen, um eine sorgfältige Entwicklungsdiagnostik sowie um die Beratung und Supervision des Behandlungs- und Pflegeteams der Abteilung Neonatologie. Oft wurden und werden die Betreuungen und Begleitungen über den stationären Aufenthalt hinaus ambulant im Rahmen der kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik weitergeführt.
Aktuell ist in der Diskussion, die bis heute andauernde, vielgestaltige Liaisontätigkeit im Kinderspital künftig durch eine liaisonpsychiatrische Stelle in der Pädiatrischen Poliklinik zu erweitern. Diese Idee ist freilich nicht ganz neu, hatte doch unter Hottinger bereits 1955 eine kinder- und jugendpsychiatrische Sprechstunde im Rahmen der pädiatrischen Poliklinik ähnliche Funktionen übernommen (s. o.). Man mag die Weitsicht bewundern, mit welcher schon vor 50 Jahren Konzepte realisiert wurden, die heute wieder als unabdingbare Bedürfnisse formuliert werden - erfolgreiche Konzepte scheinen rezyklierbar zu sein.