1870 - 1900: Neue Zentren am Rand

Die Universität zieht nach Westen: Innerhalb von nur drei Jahrzehnten errichteten Universität, Stadt und ein finanziell engagiertes Bürgertum im Bereich der ehemaligen Festungsanlagen hinter dem Petersplatz eine dichte Folge von repräsentativen Neubauten: Bernoullianum, Vesalianum, Klinikgebäude, Universitätsbibliothek.

Der Schwerpunkt des universitären Raums verlagerte sich vom Münsterhügel an den damaligen Stadtrand – der städtische Raum entwickelte sich so schnell weiter, dass aus dem Rand bald ein neues Zentrum wurde – für Stadt wie Universität. Liest man die Orte und Gebäude der Universität als Repräsentationen ihrer Entwicklungen, entsteht der Eindruck, der Schwerpunkt auch der wissenschaftlichen Dynamik verlagere sich in dieser Zeit: auf die neuen und expandierenden Fächer der Naturwissenschaften. Aber vielleicht war es umgekehrt, vielleicht gab die Universität ihren Naturwissenschaften mit den neuen Gebäuden erst den entscheidenden Entwicklungsimpuls.

Mit dem Museumsneubau 1849 war die naheliegendste Möglichkeit, der Universität auf dem Münsterhügel mit einem grösseren Neubau Platz und Raum zu verschaffen, vergeben. Die Entscheidung der Basler Bürgerschaft für einen Museums- und gegen einen Universitätsneubau war auch Auslöser für eine räumliche Neuorientierung der Universität – zumindest waren ab jetzt die Möglichkeiten, doch noch in einem grösseren Rahmen auf dem Münsterhügel neu zu bauen, sehr limitiert.

In den Randlagen der damaligen Stadtanlage war das anders. Die nun einsetzende Neuorientierung der Universität im Stadtraum Basels war wohl eher Reflex auf vorhandene räumliche Möglichkeiten und weniger Resultat längerfristiger strategischer Überlegungen. Nach 1860 war die Befestigungszone am westlichen Stadtrand freigeworden – eine Gegend am Rand, eigentlich zu abgelegen für Repräsentationsbauten.

Den Anfang machten die Medizinischen Einrichtungen – zunächst noch unabhängig von der Universität. Bereits in den Jahren 1837-1842 wurde im Markgräflerhof an der Hebelstrasse das neue Bürgerspital eingerichtet - seit 1862 als Universitätsklinik geführt. In den darauffolgenden Jahrzehnten entstand um den 1857-1868 erweiterten Bau herum ein Spitalbezirk mit den medizinischen und chirurgischen Kliniken (1865), der geburtshilflichen Klinik (1868), der Poliklinik (1875), dem Augenspital an der Mittleren Strasse (1877), dem Pathologischen Institut an der Hebelstrasse (1880) und dem Frauenspital an der Schanzenstrasse (1896) und schliesslich dem Einzug des Hygienischen Instituts in das Stachelschützenhaus am Petersplatz (1893).

In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde das Randquartier mit vier grossen Bauprojekten bewusst zu einem neuen Universitätsbezirk ausgebaut. 1874 entstand das Bernoullianum, 1885 das Vesalianum, 1896 die Universitätsbibliothek und 1898 das Botanische Institut. Intensiv diskutiert, aber nicht realisiert wurde ein neues Kollegiengebäude. Stattdessen wurde anlässlich der 400 Jahr Feier 1860 noch einmal das alte Kollegium am Rheinsprung renoviert und für eine weitere Nutzungsetappe zukunftstauglich gemacht.

Sichtbar wurde die räumliche Neuorientierung der Universität dann spätestens mit der feierlichen Inszenierung der Eröffnung des Bernoullianums im Jahr 1874. Anlässlich des 400jährigen Jubiläums spendeten Basler Bürger für das Projekt einer neuen Sternwarte. Für die Astronomie war die entlegene Situation auf dem hohen Wall auf der Petersschanze kein Makel sondern eine technische Vorraussetzung. Das 1874 eröffnete Bernoullianum beherbergte neben Sternwarte und Astrologie auch Chemie und Physik. Es war der erste dezidiert und eigens für die Universität errichtete Zweckbau und die aufwendigen Feierlichkeiten zu seiner Eröffnung machen deutlich, welche symbolische Bedeutung diesem Neubau für die Universität als Institution, für das Verhältnis der Stadtbürger zu ihrer Universität und für den Aufschwung und die neue tragende Bedeutung der Naturwissenschaften in der Wissensgesellschaft zukam.

Auch die weiteren Entwicklungen ergaben sich aus dem Zusammenspiel von vorhandenem und verfügbarem Baugrund, den finanziellen Möglichkeiten, die die Basler Bürgerschaft in der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft für ihre Universität grosszügig bereitstellte und den dynamischen Entwicklungen in den naturwissenschaftlichen und medizinischen Teildisziplinen: Schon neun Jahre später wurde 1885 mit dem Vesalianum auf dem ehemaligen Werkhofareal zwischen Zeughaus und Spalenvorstadt ein zweites Hochschulgebäude für die Anatomie und Physiologie eröffnet.

1896 feierten Universität und Stadt erneut und weihten den Prachtbau der neuen Universitätsbibliothek ein. Die Buchbestände der Bibliothek waren in den nicht einmal 50 Jahren seit dem Umzug in das Museum auf den dreifachen Bestand gestiegen und eine grosszügige Unterbringung schon lange ein Politikum. Der repräsentative Bau auf dem alten Spalengottesacker bildete das räumliche Gegenstück zum Bernoullianum und gab nun definitiv dem neuen Universitätsbezirk einen Mittelpunkt – umso mehr, als die neue Bibliothek auch verschiedenen Instituten ein Unterkommen ermöglichte.

Nur zwei Jahre später wurde der Bibliothek benachbart eine weitere wichtige Institution untergebracht – das botanische Institut (1898) und der botanische Garten (1897), der bereits seit den Anfängen der Universität bestand und seit seiner Unterbringung im Hof des Unteren Kollegiums ebenfalls mehrere Stationen in der Stadt durchzogen hatte und dringend nach einem festen Standort verlangte.

Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich damit innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten die zunächst als Randlage wahrgenommenen Grundstücke am Westrand der Stadt zu einem universitären Kerngebiet verdichtet mit den zahlreichen Gebäuden des Spitalbezirks um Hebelstrasse, Schanzenstrasse und Mittlere Strasse, mit dem zusammenhängenden Areal von Bernoullianum, Universitätsbibliothek, Botanischem Institut und Botanischem Garten und mit dem Vesalianum.

Die dynamische Entwicklung, die Expansion und die Ausdifferenzierung des naturwissenschaftlichen Fächer- und Disziplinenkanons und ihre symbolische Bedeutung für Universität und Stadt lassen sich in den Bauaktivitäten, in der Architektur der Gebäude, in der kostspieligen Anpassung ihrer Raumstruktur und der technischen Ausstattung an die speziellen Bedürfnisse der «Anstalten», für die sie zunächst bestimmt waren, ablesen – ebenso in der sich ständig weiterentwickelnden Nutzung und der häufig wechselnden Belegung in den darauffolgenden Jahren. Die Gebäude dieser Epoche der Universitätsgeschichte zeigen auf der räumlichen Ebene, wie die Naturwissenschaftlichen Fächer als dynamisierender Faktor die weiteren Entwicklungen der Institution vorantrieben -  umgekehrt bilden die neuen Gebäude den Repräsentationsraum, der den neuen Wissenschaften ermöglichte, ihren Anspruch und ihren Stellenwert der Gesellschaft deutlich zu machen.