Arzt

In der rechten Hand hält der Mann im weissen Kittel ein Glas mit einer gelblichen Flüssigkeit - offensichtlich ein Uringlas, wie es in vielen Darstellungen von Ärzten auftaucht. Einmal mehr ist das Verhältnis zwischen dem Protagonisten und seinem Untersuchungsobjekt gestört: die Brillengläser sind weisslich und undurchsichtig, die Kopfhaltung lässt vermuten, dass sein Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet ist. Die runden Brillengläser nutzt Stoecklin, um das klassische Motiv der Spiegelung eines Fensterkreuzes darzustellen.

Das Gesicht des Mediziners ist fett, mit einer dicken Unterlippe und einer Warze auf der Wange, wenige Härchen wachsen rechts und links eines lächerlichen Mittelscheitels und über den Ohren. Der Oberkörper gibt den Blick in das Innere des Körpers frei und zeigt modellhaft den Blutkreislauf eines Menschen. Weiss sind die Arterien, blau die Venen, weiter sind das Herz und eine Niere dargestellt. Die Stelle unterhalb des Halses, wo die Hautschicht endet, ist als einfache, gezackte Kante gemalt, gegen unten ist die Darstellung der Blutgefässe von der brauen Hose begrenzt, die wie von einem dicken Bäuchlein gerundet ist.

Der geöffnete Oberkörper des Arztes ist so nüchtern und vereinfacht gemalt, dass er wie auch der verunfallte Chemiker nicht makaber wirkt. Viel unheimlicher ist das unsympathische Gesicht des Arztes und seine nicht sichtbaren Augen. Der Maler übt hier vermutlich leise Kritik am Weltmodell der Mediziner, welche genau sagen können, wie der Körper eines Menschen funktioniert, im Grunde jedoch nichts über das Innere und das Herz eines Menschen sagen können - auch mit Hilfe des Stethoskops nicht, mit dem sie die Herztätigkeit abhören und das auch unser Medicus in der Brusttasche mit sich trägt. Weiter ist der Arzt mit einer Klistierspritze ausgerüstet und am Boden steht ein Nachttopf - neben dem Uringlas weitere Geräte, die mit Fäkalien zu tun haben und mit denen gewisse Tätigkeiten des Arztes karikiert werden. Irritierend ist die Stellung seines linken Armes. Er hält ihn nach oben und greift sich mit der Hand hinter den Kopf, vielleicht um seine offene Brust besser präsentieren zu können.

Das Pharmazie-Historische Museum Basel ist im Besitz einer kleinen Gouache von Stoecklin, die einen Medicus in sehr ähnlicher Komposition zeigt, jedoch in barockem Kostüm. Aufgrund der Datierung von 1931 kann es sich kaum um eine Skizze für die Tafel im mittleren Breo handeln. Vermutlich ist es eine nachträglich angefertigte, kleine, leicht abgeänderte Version. Sehr interessant wäre natürlich zu wissen, ob solche Versionen noch von anderen Berufstafeln, vielleicht sogar vom ganzen Zyklus, existieren.